17.05.2017 - Kelterner Forum - Fluchtursachen und Entwicklungshilfe

Am 17. Mai fand im Katholischen Gemeindehaus in Dietlingen das Kelterner Forum zum Thema: Fluchtursachen & Entwicklungshilfe - Was tut wirklich Not? statt. 

Im Vorfeld der Debatte über den entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung am vergangenen Donnerstag im Bundestag bekräftigte Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) seine Forderung nach einer neuen Handelspolitik zwischen europäischen und afrikanischen Ländern. Schon im Januar 2016 hatte er konstatiert: "Wir haben unseren Wohlstand auf dem Rücken der Entwicklungsländer aufgebaut." Am Mittwochabend im katholischen Gemeindehaus Dietlingen hatte das Kelterner Forum eingeladen, mehr über die Hintergründe dieser zutiefst betroffen machenden Feststellung zu erfahren; und was Menschen in einer bisher nie dagewesenen Weise zu Flucht und Migration bewegt.

 

Bärbel Storz mit Roland Schultner und Martin Gück (von links).

   

Gastreferent war Martin Gück, Volkswirt und Mitarbeiter von Kairos Europa e.V., einem dezentralen Netzwerk von Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen in Europa, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzen.  

Gück informierte zunächst über die gewaltige Größenordnung, die Flucht und Migration derzeit angenommen hat. Noch nie gab es so viele Flüchtlinge wie heute (65 Mio.) - außer vielleicht bei der Staatenbildung nach dem Ende der britischen Herrschaft auf dem indischen Subkontinent. Dabei komme bisher überhaupt nur jeder 35. Flüchtling nach Europa. Würde die Bundesrepublik - in Relation zur Einwohnerzahl - so viele Flüchtlinge aufnehmen wie etwa der Libanon, wären dies 17 Mio. Menschen.

 

Herr Gück beim Präsentieren der Statistik zu Aufnahmeländern und Herkunftsländern.

   

Weiter wies Gück auf die vielfältigen Ursachen hin, die Menschen dazu veranlassen oder zwingen, für sich und ihre Kinder anderswo eine bessere Zukunft zu suchen. Der Klimawandel allein - so Schätzungen - wird zukünftig weitere 200 Mio. Menschen in die Migration treiben. Deutlich werde auch, dass die von den reichen Ländern des Nordens diktierten Wirtschafts- und Handelsstrukturen wesentliche Mitverursacher von Migration sind. (Etwa wenn afrikanische Staaten gezwungen werden, ihre Märkte für die Restprodukte europäischer Hähnchenproduktion offen zu halten und darüber die einheimische Geflügelzucht zugrunde geht.)

Ebenso ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte klar, dass die klassische Entwicklungshilfe kaum etwas zur Lösung der Probleme beitragen konnte und hier dringend ein Neuansatz erforderlich ist. Die Herausforderung ist gewaltig - gerade für uns in den hochentwickelten Gesellschaften des Nordens, wollen wir nicht auf Dauer selber den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Es geht um nicht weniger als um ein radikales Umdenken beim Weltwirtschafts-System, weg vom Grundsatz der Gewinnmaximierung hin zu einer (globalen) Gemeinwohlorientierung. Voraussetzung dafür ist ein politischer Prozess, ein Bewusstseinswandel in den demokratischen Gesellschaften in Europa und Nordamerika.  

In der Diskussion im Anschluss beschäftigte vor allem die Frage, wie solch ein Bewusstseinswandel erreicht werden kann, bis hin zur Frage, ob die menschliche Selbstsucht und Gier eine Veränderung nicht im Letzten unmöglich macht; eine fast resignativ vorgetragene Möglichkeit angesichts neuerlicher nationalstaatlicher Tendenzen ("America first").

Andererseits wurde deutlich, dass gerade Christen - trotz eines sehr realistischen Menschenbildes der Bibel ("des Menschen Herz ist böse von Jugend auf") - ermutigt sind, Zeichen für einen anderen Lebensstil zu setzen. Sie sind dabei getragen von der Hoffnung und Erwartung, dass - im Vertrauen auf Gottes Kraft - selbst kleine Anfänge sich auswachsen können zu einer neuen, gerechteren Wirklichkeit, dass aus einem kleinen Senfkorn dann doch ein großer Baum erwächst.

 

Martin Gück, Kairos Europe e.V. und Roland Schultner, SES (von links).

  

Hinweis auf solche Zeichen eines neuen besseren Miteinanders von reichem Norden und 2/3 der restlichen Welt ist beispielhaft die Arbeit des Senior Experten Service, von dem an diesem Abend Roland Schultner aus Keltern berichtete. Senioren mit beruflicher Erfahrung aus Unternehmen unterschiedlichster Art leisten ehrenamtlich Hilfe zur Selbsthilfe für kleine und mittlere Unternehmen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen usw. in Ländern des Südens. Mittlerweile etwa 12.000 Personen im Durchschnittsalter von 69 Jahre haben sich in ca. 40.000 Einsätzen weltweit bei diesem ehrenamtlichen "Know-how-Transfer" eingesetzt. So auch der Referent bei einem Einsatz in Madagaskar.

Text und Fotos: Günther Wacker / Kelterner Forum