10.01.2016 - Weihnachten im Heiligen Land

Liebe Freunde, Verwandte, Interessierte und Bekannte,

ich wünsche euch allen ein frohes und gesundes neues Jahr 2016! Ich wünsche uns allen ein Jahr der Begegnung, der Brüderlichkeit, der Offenheit und Gemeinschaft. Ein Jahr der Gastfreundschaft und Menschlichkeit. "In diesem Jahr wollen wir besonders das Licht mit zwei Gemeinschaften teilen: Mit den Flüchtlingen und den Christen des Nahen Ostens." (aus der diesjährigen Weihnachtsansprache von Bischof Dr. Munib Younan, ELCJHL).

 

  

Wie die Zeit verfliegt. Seit fünf Monaten bin ich im Heiligen Land, schon fast die Hälfte meiner Zeit hier liegt hinter mir. Das wird mir jetzt gerade beim Schreiben erst so richtig bewusst. Viel habe ich schon erlebt, aber vieles möchte ich noch sehen, entdecken, kennenlernen und erleben und erfahren. Inzwischen fühle ich mich nicht mehr wie eine Fremde, ich fühle mich aufgenommen und zugehörig. Ich fühle mich angekommen. Dieses Gefühl macht mich glücklich und schenkt mir in vielen Situationen eine gewisse Gelassenheit. Ich möchte euch in meinem Rundbrief von zwei besonderen Höhepunkten der letzten Monate berichten.

Adventszeit

Advent. Der Beginn einer ganz besonderen Zeit im Jahr. Einer Zeit der Vorbereitung und Erwartung. Einer Zeit der Besinnung und des Innehaltens. Einer Zeit der Gemeinschaft und der Liebe. Einer Zeit des Teilens und des Helfens. Eine Zeit der Vorfreude und der Einstimmung. Mit diesen Worten habe ich auf meinem Blog einen Adventskalender eröffnet. Dort konnte man jeden Tag einen kleinen Eintrag von mir lesen und so ein bisschen an meinem Leben in der Adventszeit teilhaben. Begonnen habe ich den Advent mit einer abenteuerlichen Autofahrt durch die Wüste, mit einer Einladung zum Tee bei Beduinen, einem typisch deutschen Adventskaffee und einem arabischen Adventsabend. Das alles fand an einem Tag statt! Dieses Beispiel zeigt ganz gut, wie gefüllt meine Adventszeit weiterging. Wenn euch meine Erlebnisse aus dieser Zeit interessieren, dann schaut doch gerne mal auf meinem Blog vorbei.

Weihnachten

Weihnachten in Bethlehem. Jedes Jahr hören wir davon an den verschiedensten Stellen. Spätestens am Heiligen Abend strömen die Menschen in die Kirchen, um sich an die Weihnachtsgeschichte zu erinnern. Ob das nun als Krippenspiel, Musikstück oder Lesung geschieht. Jeder freut sich auf die alt bekannte Geschichte und malt sich von klein auf seine eigenen Bilder drumherum aus. Auch ich habe mir Bethlehem immer als eine kleine Stadt vorgestellt, umgeben von Feldern, irgendwo im Nirgendwo. Dorthin wanderten Maria und Josef und nach ihrer beschwerlichen Reise wurden sie von niemandem aufgenommen, sondern mussten am Stadtrand in einem Stall schlafen. Da kam dann das kleine Jesuskind zwischen Ochs und Esel in einer Krippe zur Welt. Ganz gemütlich und romantisch stellte ich mir diese Geschichte und diese Stadt vor... Dann kam ich zum ersten Mal nach Bethlehem und es war ganz anders, als in meiner Vorstellung: Eine große, bunte Stadt. Immer laut, immer voller Menschen. So gar nicht weihnachtlich und so gar nicht behütet und romantisch. So kam es also auch, dass der Heilige Abend ganz anders verlief, als ich mir das als Kind vielleicht einmal ausgemalt hat.

 

  

Am 24. Dezember machte ich mich am Vormittag mit dem Service auf nach Bethlehem. Je mehr wir uns der Stadt näherten, desto voller wurden die Straßen und umso mehr Menschen sah ich am Wegrand. Als wir endlich bei der großen Servicestation angelangt waren, machte ich mich auf in Richtung der Geburtskirche und des davor liegenden Platzes. Ich musste mich durch Menschenmassen kämpfen und kam am Ende leider doch nicht bis zu dem Punkt, an den ich eigentlich wollte. Alles war von der Polizei abgesperrt worden und so suchte ich mir einen Platz an der Straße, die unterhalb verläuft.

Auch dort hatten sich schon viele Menschen versammelt, und wir alle warteten gespannt auf die "Scouts", die Pfadfinder aus der Region um Bethlehem, die an diesem Mittag dort einen großen Umzug veranstalteten. Wenig später hörte ich auch schon die ersten Trommeln und die Melodien der Dudelsäcke aus der Ferne. Und dann kam die erste Gruppe um die Ecke gebogen. Vorneweg die Fahnenträger und hinterher die Musikanten in ihrer typischen Tracht, jede Gruppe mit ihren eigenen Farben und eigenen Zeichen. So zogen sie an uns vorbei, mit vielen verschiedenen Trommeln, Dudelsäcken und Blasinstrumenten. Es wurden alle möglichen Lieder gespielt, immer mal wieder erkannte ich ein Weihnachtslied darunter; die anderen, so habe ich mir sagen lassen, typisch palästinensische Volkslieder. Angesichts der aktuellen politischen Situation waren weniger Gruppen als sonst gekommen und es wurde nicht so ausgelassen gefeiert, es wurden nicht so viele "heitere" Stücke gespielt und nicht so viel Radau gemacht, wie in den Jahren zuvor. Für meine Ohren und Augen war es aber laut und vielseitig genug und ich war total begeistert von dem Umzug. Besonders freute ich mich, als ich unter den Gruppen aus Beit Sahour einige Schüler von mir entdeckte, die mir freundlich zulächelten oder -winkten.

 

  

Nachdem die letzte Gruppe an mir vorbeigezogen war, machte ich mich auf den Rückweg. Leider waren alle Service komplett ausgelastet, sodass ich einen Weihnachtsspaziergang von Bethlehem nach Beit Sahour machte. Also sozusagen genau andersherum, als es die Hirten von ihren Hirtenfeldern aus vielleicht vor 2000 Jahren getan haben. Ganz in der Nähe der besagten Hirtenfelder liegt meine Wohnung und dort zog ich mich schnell um, packte meine Trompete und meine Noten und es ging für mich erneut nach Bethlehem, dieses Mal allerdings in die Weihnachtskirche. Dort hatten wir eine Anspielprobe von Brass for Peace, bevor wir im großen Weihnachtsgottesdienst musizierten, welcher allerdings aus Platzmangel in einem großen Saal neben der Weihnachtskirche stattfand. Der Gottesdienst wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch gehalten und ich fand ihn wirklich sehr, sehr schön. Besonders eindrücklich für mich waren die Worte, die Bischof Dr. Munib Younan an die Gemeinde richtete (zum Nachlesen unter: http://www.elcjhl.org/2015/12/22/2015-christmas-message-from-bishop-younan/).

Nachdem die Menschen singend und mit Kerzen in der Hand aus dem Saal ausgezogen waren, ging es für uns direkt weiter in die kleinere Weihnachtskirche, wo wir kurz darauf ein Konzert hatten. Gestaltet wurde dieses von einem kleinen Chor aus Deutschland, welcher sich um eine ehemalige Brass for Peace Volontärin geschart hatte, von unserem fünfköpfigen Brass for Peace Ensemble, bestehend aus Moritz, Caro, Emil, Monika und mir und von zwei Herren, die zwischendurch immer wieder Texte vorlasen. Das Konzertprogramm war nicht leicht und ich hatte bei einem Stück sogar eine Solostimme, sodass ich doch relativ aufgeregt war, als die Kirche sich bis auf den letzten Platz gefüllt hatte und das Konzert losging. Auch wenn nicht alles perfekt gelaufen ist, hat es insgesamt doch gut geklappt und wir bekamen viele positive Rückmeldungen bekommen. Danach war es schon ganz schön spät und normalerweise wäre nun wahrscheinlich der Zeitpunkt gekommen gewesen, an dem man mit der Familie nach Hause geht und sich ans Geschenkeauspacken macht. Nicht aber für uns. Wir stiegen direkt im Anschluss in einen kleinen Bus, der uns nach Jerusalem in die Erlöserkirche brachte, wo wir am nächtlichen Weihnachtsgottesdienst teilnahmen. Auch diese Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt - im Vorfeld hatte es sogar Eintrittskarten gegeben - und auch hier spielten wir noch einmal von Brass for Peace und ich sang zwischendurch im Chor mit. Von der Empore aus erlebten wir diesen besonderen Weihnachtsgottesdienst und hörten nochmal eine andere Weihnachtsbotschaft, als zuvor in Bethlehem. Unter uns wurden hunderte von Kerzen entzündet und es ergab sich ein ganz besonderes Bild. Als zum Schluss "Oh du fröhliche" angestimmt wurde, war auch für mich klar: Jetzt ist Weihnachten!

 

  

Nach dem Gottesdienst wünschten sich alle ein frohes Fest, und es war schön zu merken, wie viele Menschen ich tatsächlich schon in Jerusalem kenne. Gleichzeitig war ich auch überrascht, wie viele Deutsche in Jerusalem leben; das hätte ich vorher gar nicht gedacht. Im Innenhof der Propstei gab es noch Glühwein für alle, was bei den Temperaturen schön wärmend war, und dann versammelten sich ca. zweihundert Menschen vor der Kirche. Sie alle wollten in der Heiligen Nacht von Jerusalem bis nach Bethlehem laufen. Und ihr könnt es euch sicher denken, das wollten wir uns nicht entgehen lassen. Deshalb machten auch wir uns auf den langen Weg und brachen, zusammen mit vielen anderen Volontären aus ganz Israel, gegen Mitternacht auf. Der Weg war lang, es war kalt und nach dem langen Tag auch ganz schön anstrengend. Aber man traf so viele interessante Leute, dass man im Laufen einige spannende Geschichten und Einsatzstellen kennen lernte. Zwischendurch machten wir immer mal wieder Halt um ein paar Weihnachtslieder zu singen, dann ging es weiter. Irgendwann bogen wir in die vertraute Straße in Richtung des großen Checkpoints ein und standen wenig später vor dessen Toren. Dort gingen dann mehr als zweihundert Leute durch den engen Gang, durch das erste Drehtor, überquerten den großen Platz, durch das zweite Drehtor, durch den nächsten engen Gang und kamen auf der "anderen Seite" heraus: Wir waren in Bethlehem angekommen. Über drei Stunden Fußweg lagen hinter uns, und jetzt ging es noch ungefähr eine halbe Stunde weiter bis zur Geburtskirche in Bethlehem. Dort angekommen war ich verwundert, wie viele andere ausländische Pilger sich dort versammelt hatten, nachts um vier Uhr in der heiligen Kirche. Auch wir gingen durch die kleine Tür hinein und blieben einige Zeit, bis es dann hieß, zurück nach Hause. Elisabeth und ich suchten ein Taxi und fuhren zurück in die Stadt der Hirtenfelder, wo ich müde und erschöpft, aber auch glücklich in mein Bett fiel. Ein ganz besonderer Heiliger Abend lag hinter mir, ereignisreich und unvergesslich.

  

  

Am nächsten Morgen hieß es für mich: Früh aufstehen! Denn um neun Uhr fand der Weihnachtsgottesdienst in der lutherischen Kirche in Beit Sahour statt, also in meiner "Heimatgemeinde". Dort wollte ich unbedingt teilnehmen und schaffte es nach vier Stunden Schlaf gerade so aus dem Bett und pünktlich in die Kirche. Der Gottesdienst war sehr schön, wie immer übersetzte jemand aus der Gemeinde für uns die Predigt und ein drittes Mal bekam ich die Weihnachtsbotschaft zugesprochen. Nach dem Gottesdienst wünschten sich alle frohe Weihnachten. Es gab Weihnachtsplätzchen und Tee für alle und wir saßen noch eine Weile zusammen, bis auf einmal "Baba Noel" zur Tür hereinkam und für alle Kinder ein Geschenk dabei hatte. Diese freuten sich natürlich sehr und zu meiner Überraschung ging es nach den Kindern auch noch mit allen anwesenden Erwachsenen weiter. Auch ich bekam ein kleines Geschenk, einen Stiefel mit einer Tasse und vielen Süßigkeiten. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Irgendwann brach ich auf, zurück nach Hause und von dort nach Talitha, wo wir zusammen ein großes Weihnachtsessen veranstalteten. ...    

 

Alle Fotos: Anna Vetter

 

Nun hoffe ich, dass ihr durch diese beiden Erzählungen einen Einblick in mein Leben hier bekommen konntet. Und ich freue mich sehr über Rückmeldungen und Geschichten aus der Heimat. Wer "auf den Geschmack" gekommen ist, darf gerne auf meinem Blog vorbeischauen. Noch einmal wünsche ich euch ein frohes und gesundes neues Jahr. Bis zum nächsten Mal euch und euren Familien alles Gute!

Liebe Grüße aus Beit Sahour.

Anna Vetter

Blog: www.anna-in-palestine.jimdo.com
Email: anna.vetter (at) fmvetter.de