1. Sonntag nach Epiphanias / 13. Januar 2013
Themengottesdienst zur Jahreslosung
Pfarrer Reinhard Wettach

  

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

Dieser Vers aus dem Hebräerbrief ist die Jahreslosung für das Jahr 2013. Dieser Vers steht in der Mitte unseres Gottesdienstes heute. Lothar Stängle hat uns zur Jahreslosung einen Kanon geschrieben. Wir singen den Kanon mit Unterstützung des Singkreises.

 

 Zum Ausdrucken des Kanons als Liedblatt (pdf-Datei) klicken Sie bitte auf die Graphik.

 

Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir!
Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir.
Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld
schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt.
(EG 150, Vers 1)

 

(c) Bild: Margarete Bolz

 

Auf dem Bild sehen wir unsere Dietlinger Stadt! Dieses Bild ziert im Original seit einigen Monaten den Saal des Oberlinhauses. Ich überlege mir, in welchem Haus ich wohnen möchte: lieber unten, direkt am Weg? Im Schatten eines Baumes oder in der Nähe einer Palme? Oder weiter oben, beim Turm mit seiner guten Aussicht oder neben der Kuppel mit dem Kreuz? Und wen wünsche ich mir als Nachbarn? In unserer Stadt.

Seit Jahrtausenden leben Menschen in Städten. Es sind ungezählte. Und der Anteil der Menschen, die auf der weiten Welt in Städten leben, nimmt stetig zu. Städte haben ihre Faszination. "Stadtluft macht frei", sagte man im Mittelalter. Die Lebensmöglichkeiten in den Städten lockten schon damals und locken heute viele an. Dort in der Stadt, dort pulsiert das Leben. Dort lässt sich Geld verdienen und auch ausgeben. Dort blüht das kulturelle Leben, dort, wo viele zuhause sind. Und Menschen, die in der Stadt Fuß gefasst haben, schwärmen von ihrer Stadt.

Der Schreiber des Hebräerbriefes schwärmt auch von seiner Stadt. Allerdings ist das eine Stadt, die ganz anders ist als die Städte, wie wir sie kennen. Es ist eine Stadt, die man nur mit den Augen des Herzens und des Glaubens sehen kann, aber eine Stadt, davon ist er überzeugt, die es wirklich gibt. Eine Stadt, nach der er sich von ganzem Herzen sehnt, weil er weiß: Da - und nur da - bin ich zuhaus. Da - und nur da - kommt mein Leben zu seiner vollen Entfaltung. Da - und nur da - will ich bleiben. Er schwärmt von seiner Stadt und lädt uns ein zum Mitschwärmen.

Aber am Anfang steht seine nüchterne Bilanz: "Wir haben hier keine bleibende Stadt."

Alles, was wir Menschen uns an Positivem ersehnen, werden wir auf Dauer nirgendwo auf dieser Welt finden. Ob es da um Sicherheit geht oder um Geltung, um Anerkennung oder um Einflussnahme, um Schutz vor Gefahren oder um ein stabiles soziales Umfeld - all das werden wir auf Dauer auf dieser Welt nirgendwo finden. Und wenn wir von Unglücken hören und vom Sterben, und dies auch in unserer Nähe erleben, dann wird dadurch nur die nüchterne Bilanz bestätigt: "Wir haben hier keine bleibende Stadt."

Im Herzen von Frau Simoneit war unausgesprochen diese nüchterne Bilanz. Langsam geht sie den Flur entlang. Ihre grauen Haare sind frisch zu kleinen Locken aufgedreht. In ihrer geblümten Bluse sieht sie aus, als hätte sie sich für einen Gang in die Stadt zurechtgemacht. Langsam macht sie einen Schritt nach dem andern. "Frau Simoneit, setzen Sie sich doch einmal hin", ermuntern sie die Pflegerinnen. Doch sie geht und geht. Schritt um Schritt. Flurauf und flurab. "Nach Hause", murmelt sie. Mehr spricht sie nicht mehr. "Nach Hause." Nur noch diese beiden Worte sind ihr geblieben.

Hin und wieder öffnet sie eine der Türen, an denen sie vorüberzieht. Suchend streckt sie den Kopf hinein. Ob sie hinter den Zimmern die Orte des Lebens sucht, die sie hinter sich gelassen hat? Die Heimat in Ostpreußen? Das Haus, das sie und ihr Mann nach dem Krieg gebaut haben? Die Wohnung in der Nähe der Tochter, die seit dem Tod ihres Mannes ihr Zuhause war, so lange, bis es alleine nicht mehr ging?

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt. Dieser Satz trägt das Gesicht dieser Frau. Dieser Satz erzählt Lebensgeschichten. Auch ihre Lebensgeschichte hat darin Platz. Und die Lebensgeschichte von jedem von uns.

"Soll’s nun das schon gewesen sein?" So war die Frage der Menschen, an die der Hebräerbrief zuerst gerichtet war. "Lohnt es sich, dafür zu leben?“ Denn sie waren drauf und dran, die Sache mit Jesus an den Nagel zu hängen und die Sehnsucht nach der zukünftigen Stadt gegen das Leben ganz hier und heute einzutauschen.

Der Schreiber des Hebräerbriefes sagt ihnen: Ja, es lohnt sich, dafür zu leben. Drum bleibt dran an dieser Sehnsucht. Gebt nicht auf; denn das Schönste kommt noch. Darum schreibt er ihnen und uns: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Und das heißt: Nach der zukünftigen Stadt strecken wir uns aus.

Wir singen den Kanon zur Jahreslosung.

 

Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir!
Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir.
Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld
schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt.
(EG 150, Vers 1)

 

Zu der Jahreslosung hören wir nun Verse aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 21, Verse 1 - 5:

 

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

 

Jetzt wird unsere Dietlinger Stadt zum Abbild der neuen Stadt und der neuen Welt Gottes.

In dieser neuen Stadt Gottes ist nichts unser Werk. Gott ist am Werk, ganz eindeutig und ohne jede Verborgenheit. Er gibt die neue Stadt herab auf diese neue Erde. Da ist nichts mehr zu bauen und einzurichten; das Leben unter Gottes Hand kann beginnen.

In dieser neuen Stadt Gottes werden auch die letzten Tränen getrocknet. Denn offensichtlich kommen Weinende dort an, nicht strahlende Überwinder. Das ist kein triumphierender Einzug. Weinende kommen an und Bedrückte, solche, die nicht fertig geworden sind aber Gottes Nähe macht alles neu.

Wir sollten uns trösten und freuen an diesem Bild der neuen Stadt Gottes und an der Verheißung, dass Gott einmal gegenwärtig sein wird wie ein Freund unter Freunden. Dass die Fragen ein Ende haben, bevor sie neu gestellt werden müssen. Dass die Rätsel sich lösen. Dass die Angst verschwindet. Und dass der Tod nicht mehr das Ende und das letzte Ziel ist.

Diese neue Stadt Gottes ist kein Traum, sondern eine Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit wirkt herein in unsere Gegenwart. Denn wenn das Meer der Bedrohung (für die Menschen der Bibel war das Meer die Quelle der Ängste und der Bedrohung) einmal nicht mehr sein wird, dann können wir jetzt schon an die Brandung treten und Dämme bauen. Wir werden die Ängste nicht vergessen, aber wir werden sie in die Schranken weisen können.

Wenn Leid und Geschrei und Schmerz einmal nicht mehr sein werden, dann lasst uns getrost schon jetzt dem den Kampf ansagen, was Leid und Geschrei und Schmerzen macht unter den Menschen.

Wenn Gott einmal die Tränen abwischt, dann lasst uns jetzt getrost damit beginnen, einander wohlzutun. Es hat seinen Sinn und seine Zuversicht in sich und es nährt die Hoffnung und die Freude auf jene Stadt, in der keine Tränen mehr nachkommen müssen.

Und wenn der Tod einmal zugrunde geht, dann lasst uns jetzt leben als Leute, die von der Freiheit wissen, und die in aller Furcht doch das Neue ahnen und es sich nicht mehr nehmen lassen.

So wirkt die neue Stadt Gottes herein in unsere Zeit.

Eine Pflegerin hält Frau Simoneit an: "Wo wollen Sie denn hin?" Die alte Frau schaut sie an, schaut durch sie hindurch. "Nach Hause", flüstert sie. Die Pflegerin nimmt sanft ihren Arm: "Ihr Zuhause ist doch jetzt bei uns. Ich bringe sie auf Ihr Zimmer."

Nach wenigen Augenblicken öffnet sich wieder ihre Tür. Sie setzt ihre Wanderung fort. Ihr Zimmer war es nicht, was sie gesucht hat. Ihr Blick schweift in die Ferne über den Flur hinaus. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Manchmal berühren sich die beiden Welten, die beiden Städte. Da ist der Himmel der Erde ganz nah. Dann spiegelt sich in ihren Augen der Glanz der Ewigkeit. Ihre knorrige Hand tastet nach dem Kettchen mit dem Kreuz, das sie um den Hals trägt. Sie hat es damals zu ihrer Konfirmation bekommen. Golden glänzt es zwischen ihren Fingern hervor. Das Kreuz wird ihr den Weg nach Hause weisen.

Nach Hause.

Amen.

Wir singen den Kanon zur Jahreslosung.  

 

Wenn dann zuletzt ich angelanget bin im schönen Paradeis,
von höchster Freud erfüllet wird der Sinn, der Mund von Lob und Preis.
Das Halleluja reine man spielt in Heiligkeit,
das Hosianna feine ohn End in Ewigkeit
mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, mit Chören ohne Zahl,
dass von dem Schall und von dem süßen Ton sich regt der Freudensaal,
mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr,
wie von Anfang gesungen das große Himmelsheer.
(EG 150, Verse 6 + 7)