Laetare / 18. März 2012
Pfarrerin Martina Lieb

  

Liebe Gemeinde,

in manchen Gegenden kennt man bis heute den Brauch, am heutigen Sonntag einen Lätarestrauß zu binden. Ein Lätarestrauß, wie Sie ihn hier sehen, besteht aus drei mal drei Dingen: drei knospenden Zweigen, drei Brezeln und drei Bändern. Das hat natürlich einen Grund. Drei mal drei Gegenstände verkünden uns die frohe Botschaft: Es sind nur noch drei Sonntage, dann ist Ostern. Der Sonntag Lätare liegt genau in der Mitte der Passionszeit und gibt inmitten der vierzigtägigen Fastenzeit schon einen kleinen Ausblick auf Ostern. So wie Mose aus der Ferne das gelobte Land sehen darf, so sieht der Christ an Lätare Ostern. Für diesen Ausblick auf Ostern stehen die drei knospenden Zweige. Noch sind die Knospen verschlossen, aber es ist schon zu sehen, dass sie bald aufspringen werden, um zu blühen oder um die roten und grünen Blätter zu zeigen. Wenn es gut geht, vor allem wenn es so warm bleibt wie in den letzten Tagen, dann werden Blüten und Blätter an Ostern offen sein. Jetzt schon kann man draußen verfolgen, wie jeden Tag ein bisschen mehr aufgeht und blüht. So sind die Zweige mit den Knospen die Zeichen der Hoffnung auf das neue Leben, auf die Auferstehung, die wir an Ostern geschenkt bekommen. Die Knospen sind ein Zeichen der Hoffnung, dass das Leben siegt.

 

 

Das wichtigste des Lätarestraußes, sozusagen das Herzstück, sind die drei Brezeln. Im Mittelalter, der Zeit, aus der das Binden des Lätarestraußes überliefert wird, waren Brezeln eine typische Fastenspeise. Brezeln waren das Brot der Fastenzeit. Und das Brot steht im Mittelpunkt der biblischen Texte, die für den Sonntag Lätare vorgesehen sind. Deshalb wird dieser Sonntag in manchen Ländern auch "der Brotsonntag" genannt. Es geht natürlich nicht um irgendein Brot, sondern um das Brot, von dem in der Evangeliumslesung gesagt wird, es sei lebendiges Brot. Wer von diesem Brot isst, so heißt es, der wird leben in Ewigkeit. Als Brot soll die Brezel an dieses lebendige Brot erinnern und an den, der von sich gesagt hat: "Ich bin das Brot des Lebens."

Auch im Predigttext für den heutigen Sonntag ist vom Brot die Rede. Ich lese aus dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums die Verse 54 - 63:  

 

Jesus Christus spricht: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.

 

Mit diesen Versen endet im Johannesevangelium die sogenannte Brotrede und wahrscheinlich sind die Jünger nicht die einzigen, die diese Worte Jesu als harte Rede empfinden. Es geht ums Abendmahl: Hier essen wir vom Brot des Lebens. Und vom Brot des Lebens essen heißt, Christi Fleisch essen und sein Blut trinken. Aber wie kann das gehen - Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken? Um diesen Gedanken kreisen die ersten Verse des Predigttextes, sie antworten auf die Frage einiger empörter Juden: Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben? (Johannes 6, Vers 52)

Wie sind Jesu Worte, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, nach seinem Tod zu verstehen? Über diese Frage ist die Gemeinde des Verfassers des Johannesevangeliums in Streit geraten. Sollen sich die Christen beim Abendmahl vorstellen, dass sie tatsächlich Jesu Fleisch und Blut zu sich nehmen? Das ist eine harte Rede, vor allem für diejenigen, die in jüdischer Tradition aufgewachsen sind. Gemäß den jüdischen Gesetzen ist das Verzehren von Blut ein todeswürdiges Verbrechen. Die Worte Jesu sind eine Zumutung. In der johanneischen Gemeinde führen sie dazu, dass sich einige Gemeindeglieder vom christlichen Glauben abwenden und zum Judentum zurückkehren.

Wie also sind diese anstößigen Worte zu verstehen?

Der Verfasser des Johannesevangeliums stellt eine mögliche Deutung vor. Es geht beim Abendmahl nicht darum, dass wir uns in Gedanken vorstellen, dass wir Christi Fleisch und Blut essen und so eine Verbindung zu Jesus Christus herstellen.

Die Rede von Fleisch und Blut ist eine Ankündigung des Leidensweges, den Jesus vor sich hat. Wenn Jesus zu Lebzeiten dazu einlädt, sein Fleisch und Blut zu essen, dann ist damit eine Aufforderung gemeint, diesen Weg mit ihm mitzugehen. Nach Jesu Tod bedeutet Jesu Fleisch und Blut essen, dass wir in Gedanken Anteil nehmen an diesem Leidensweg. Jesus ist das Brot des Lebens, gerade als der, der in den Tod gegeben wird. Dass er diesen Weg gegangen ist und dass dieser Weg für uns der Weg zum ewigen Leben ist, davon dürfen wir im Abendmahl zehren. Unser Glaube an Jesus als das Brot des Lebens hat im Abendmahl einen Ort, an dem er sich nähren kann.

Jesu Fleisch und Blut essen erfordert eine bestimmte Haltung. An diese Haltung erinnert die Form der Brezel des Lätare-Straußes. Im Mittelalter gehörte die Brezel zum sogenannten Gebildebrot. Brot, das aus religiösen Zwecken in einer bestimmten Form gebacken wurde. Der Name Brezel leitet sich vom lateinischen Wort (brachium) für Arm ab. Die Form der Brezel soll an zwei übereinander geschlagene Arme erinnern: Wer Jesu Fleisch und Blut isst, der lässt sich auf das Leiden Gottes in und an dieser Welt ein. Manchmal kann man angesichts all der Not, die man sieht, nur noch die Arme zusammenschlagen und den Kopf hängen lassen. Mutlos und zermürbt.

Und dennoch: Wer sich auf die Leidensgeschichte Gottes einlässt, der entdeckt ein Gegenüber in all seiner Not. Im Gebet kann er die Arme verschränken und sich mit aller Not an seinen Gott wenden, wissend, dass dieser Gott den Weg ins Leid vorausgegangen ist. Angesichts all der Not, die auf dieser Welt begegnet, können wir eine besondere Haltung einnehmen. Wir müssen nicht verstummen, wir müssen unseren Blick nicht abwenden von all den katastrophalen Nachrichten, die uns tagtäglich erreichen. Wir dürfen unsere Arme verschränken, unsere Hände falten und uns mit all unserer Not an unseren Gott wenden. Jeden Tag, auch heute.

Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der sich Menschen in besonderer Weise an das Leiden Jesu erinnern. Aber wo ich mich darauf einlasse, Leid wahrzunehmen, kann es auch zu viel werden. Doch inmitten allen Leids sind Spuren der Hoffnung gelegt. Das gehört zur Geschichte Gottes mit uns Menschen.

An diese Spuren der Hoffnung erinnern die drei Bänder: die zwei violetten und das rosafarbene Band. Violett ist die Farbe der Passion. Sie steht für das Leiden Jesu. Das Symbol des Bandes erinnert uns daran, dass wir uns mit Jesu Leiden verbinden sollen und dass wir in unserem Leid mit Gott verbunden sind. Wir sind eingebunden in Gottes Lebens- und Liebesgeschichte mit uns Menschen.

Das rosa Band steht für Lätare. Rosa ist die liturgische Farbe des heutigen Sonntags. Die Farbe erinnert an eine Rose und geht auf eine mittelalterliche Tradition zurück. Am Sonntag Lätare, der im Mittelalter auch Rosensonntag hieß, verschenkte der Papst Rosen an Menschen, die sich besonders für andere eingesetzt haben. In der rosa Farbe mischen sich das Rot der Liebe und das Weiß des österlichen Freudenfestes.

Diese österliche Freude verändert unser Leiden. Der Ausblick auf Ostern verändert die Passion. Jesu Einladung, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, ist eine Aufforderung an uns, seinen Leidensweg ein Stück mitzugehen.

Als Christen sollen wir uns aber nicht nur auf den Leidensweg Jesu einlassen. Es ist mindestens genauso wichtig, dass wir angesichts all des Leids, das uns begegnet, nicht die Freude vergessen, die uns mit Ostern geschenkt ist. Auch in den Tagen der Passion soll Jesus nicht nur Grund unseres Leidens sein, er ist und bleibt der Grund unserer Freude. "Dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude", so haben wir es zu Beginn des Gottesdienstes gesungen. Für uns Christen steht das Leid immer schon im Licht von Ostern, im Licht der Auferstehung Jesu.

Dass wir in allem Leid immer schon eingebunden sind in die österliche Freude, daran erinnert uns das rosafarbene Band des Lätarestraußes. Mit der Geschichte seines Sohnes hat Gott sich eingemischt in unser Leid und das Leid dieser Welt.

Das rosafarbene Band soll auch eine Aufforderung sein: Nicht nur Gott hat sich eingemischt, auch wir sollen uns einmischen, wenn wir Leid begegnen. Wir sollen das strahlende Licht, das von Ostern ausgeht, in alles Leid dieser Welt tragen. Wir sollen nicht aufhören zu erzählen, dass Gott sich eingemischt hat.

Amen.