Invokavit / 26. Februar 2012
Themengottesdienst im Rahmen "Gemeinde leben & erleben"
Pfarrer Wolfgang Raupp

  

Wir hören heute auf eine Geschichte, die zu den Fundamenten des Glaubens gehört:

 

Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.
1. Mose 12, Verse 1 - 4a

 

Brich auf. Verlass die Klicke, in der du lebst. Hier gibt es eingefahrene Regeln, wie man leben muss, starre Vorstellungen, wie das Leben ist. Ihr meint, ein Mann sei mehr wert als eine Frau. Ihr kauft euch mehrere Frauen. Ihr meint, dass der erstgeborene Sohn wichtiger sei als die anderen Kinder. Abraham! - Abraham, mach dich auf. Verlass die Sippe deines Vaters. Ihr meint, mit Opfern könne man die Götter gnädig stimmen. Ihr opfert, wenn ihr etwas von ihnen wollt, und ansonsten lebt ihr in eurer eigenen, kleinen Welt. Abraham, mach dich auf. Ich lade dich ein, Neuland zu betreten, und das wahre, lebendige Leben zu entdecken. Deine Kinder und Enkel werden nach Ägypten kommen - an den Berg Sinai. Dort und in Orten, die Betlehem und Golgata heißen, will ich ihnen zeigen, wie ich, euer Gott, wirklich bin. Wenn du hier hocken bleibst, werdet ihr das nie verstehen, mit dem Kopf nicht und mit dem Herzen schon gar nicht. Abraham, ich will mit euch gehen auf diesem langen Weg. Das neue Leben und meine Nähe fangen nicht erst später einmal an, in dem neuen Land. Mit dem Aufbruch fangen sie an. Ich will dich segnen - will dir die Fülle des Lebens und meine Nähe schenken - mit dem ersten Schritt, den du tust! Und andere, die sich von dieser Bewegung ergreifen lassen, werden durch dich gesegnet sein.

Abraham machte sich auf den Weg und Lot und viele andere ließen sich anstecken. In der Herausführung aus Ägypten erlebten die Israeliten, dass der Weg mit diesem Gott in die Freiheit führt. Am Berg Sinai erfuhren sie, dass er dem Leben eine tragende Ordnung schenkt.

Maria und Joseph zogen nach Bethlehem und machten ungeahnte Erfahrungen. Jesus hat seine Jünger in seine Nachfolge gerufen, auf einen Weg vom See Genezareth nach Jerusalem, auf den Weg in eine neue Gottesbeziehung. Dann kommt die Wege-Geschichte, die zum Leitbild Bild für das Leben der Kirche wurde: Die Gemeinschaft der Jünger sitzt in einem Boot auf ihrem Weg ans andere Ufer. Ein gewaltiger Sturm kommt auf und sie denken: "Jetzt gehen wir unter - mit unserem Schiff, das sich Gemeinde nennt." Und auf einmal wird ihnen bewußt, dass Jesus mit im Boot ist. Und er stillt den Sturm. Und sie gehen nicht unter!

Auf dem Weg nach Golgatha erschraken sie vor dem Rätsel eines unbegreiflichen Gottes. Später, auf dem Weg zum Grab sahen die Frauen, dass hinter dem großen Rätsel ein wunderbarer Sinn aufleuchtet.

Petrus und Paulus haben auf weiten Wegen Grenzen überschritten und in anderen Kulturen neue Menschen angesprochen. Soll ich noch von den Wegen der Iro-schottischen Mönche erzählen, den Missionaren, die auf einem langen Weg den Glauben an den Bodensee brachten? Den Glauben, der dann irgendwie auch den Weg Dietlingen gefunden hat.

Wenn wir an diesen Gott der Bibel glauben, dann sind auch wir berufen, ein Teil des wandernden Gottesvolkes zu sein. - Dann gilt die Verheißung auch uns: Auf diesem Weg werdet ihr meine Nähe und neue Dimensionen des Lebens erfahren. Das bedeutet es eigentlich, gesegnet zu sein.

An den Gott der Bibel zu glauben, das sieht heute anders aus als zu Martin Luthers Zeiten oder damals, als Friedrich Haus in Dietlingen gepredigt hat. Das Leben der Menschen in Afrika und in Asien und die Art wie die ausgebeutet werden, war damals kein Thema. Die Ausbeutung der Erde und der Natur gab es damals auch schon, aber das war lange kein solches Problem wie heute. Das Profitstreben war damals schon ein Leitmotiv des Lebens. Aber heute sehen wir, dass man damit das Leben ganzer Völker ruinieren kann.

Auch das gehört zu dem Hintergrund, vor dem wir den Satz hören: "Geh aus deines Vaters Haus in ein Land das ich dir zeigen will". An den Gott der Bibel glauben, heißt nicht einfach mit dem Strom schwimmen, sondern mit Gott neue Wege gehen und anders leben als es den gängigen Normen entspricht.

"Geh aus deines Vaters Haus!" Das kann auch heißen: Verlass das Haus deiner Resignation, das Denken, dass man halt nichts machen kann. Lecke nicht nur deine Wunden. Wandere aus aus dem Land der Gewohnheit - man kann sich an das Schöne gewöhnen, aber auch an den Frust. Beide können einem einflüstern: Lass alles wie es ist - weil es so schön ist oder weil alles Aufbrechen doch keinen Wert hat.

Wie haben die das geschafft, Abraham und alle anderen, die mit ihm und nach ihm aufgebrochen sind. Aus dem alten Haus aufzubrechen - das ist wahrhaftig nicht einfach!

Ich glaube es geht nur, wenn bei aller Veränderung auch etwas bleibt, wenn in aller Unsicherheit etwas Verlässliches da ist, das mitgeht und trägt. Bei Abraham war das dieser Satz: Ich will dich segnend begleiten. Bei den Israeliten war es der Bund, in dem Gott sagt: Ich bin bei euch! Und bei den Jüngern war es die Entdeckung: Jesus ist bei uns im Boot, auch wenn er zu schlafen scheint.

"Geh aus deines Vaters Haus!" - das heißt auch für uns heute: Habt den Mut, neu zu definieren, was es heißt, heute als Christen und als Gemeinde zu leben. Es heißt, sich neue Visionen schenken zu lassen und diese auch zu erarbeiten. Das eine schließt das andere nicht aus. Abraham machte sich auf - das war seine Arbeit. Und - indem er sich aufmachte, wurde ihm das Neue geschenkt.

Vielleicht sollen wir in unserer Gemeinde lernen, dass dieser Aufbruch zu einem erneuerten Leben als Gemeinde nicht zuerst Sache der anderen ist, auch nicht einfach vom Himmel fällt, sondern anfängt, wenn es mir geschenkt wird, meinen ersten Schritt zu tun.

Es gibt da ein schönes Gebet, das mich immer wieder anspricht:

Herr, erwecke deine Kirche
und fange bei mir an.

Herr, baue deine Gemeinde
und fange bei mir an.

Herr, laß Frieden und Gotteserkenntnis überall auf Erden kommen
und fange bei mir an.

Herr, bringe deine Liebe und Wahrheit zu allen Menschen
und fange bei mir an.

Wir alle sind eingeladen, uns in den nächsten Wochen auf den Weg zu machen, neue Visionen zu suchen und diese dann in Pläne und Handlungsschritte umzusetzen. Wann und wo dieses gemeinsame Suchen und Überlegen stattfindet, steht auf den Blättern am Ausgang.

In all diesem Nachdenken und Planen dürfen und sollen wir die Verheißung mitnehmen, die uns tragen wird: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Ich will euch segnen. Und andere sollen durch euch gesegnet sein.

Amen.