1. Weihnachtstag / 25. Dezember 2011
Pfarrer Wolfgang Raupp

  

In Galatien hatten Griechen - Heiden also - angefangen an Jesus zu glauben und damit auch an den Gott der Juden zu glauben.

Juden, die in dieser Gegen wohnten, sagten zu ihnen. "Das geht doch nicht! Wir sind doch das erwählte Gottesvolk! Ihr könnte doch nicht einfach sagen: Wir gehören jetzt auch dazu. Dass wir das erwählte Volk Gottes sind, das merkt man daran, dass wir das Gesetz einhalten. Aber das Gesetz einhalten, das wollt ihr nicht und das könnt ihr auch gar nicht." In dieser Auseinandersetzung schreibt Paulus:

 

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Galater 4, Verse 4 - 7

 

Liebe Gemeinde,

ich will Ihnen heute einmal eine Weihnachtslegende erzählen. Und die geht so:

Unter den mancherlei Gestalten, die zum Stall nach Bethlehem pilgerten, waren nicht nur die Hirten auf dem Felde und die Weisen aus dem Morgenland. Mit einer Verspätung von 50 Jahren kam auch eine Gruppe von Pilgern aus dem Abendland, die am Ort des Geschehens Weihnachten feiern wollten. Nehmen wir einmal an, das kleine Dörfchen, aus dem sie kamen, hieß Dietlingen. Weil sie fremd waren, hatten sie einen Führer dabei, der sich auskannte. Er war klein und glatzköpfig und hieß Paulus. Sie hatten schon ein großes Stück ihres Weges zurückgelegt und waren bis nach Galatien in Griechenland gekommen, als der Weg auf einmal durch eine Schranke versperrt war. Da stand ein Engel und führte Personenkontrollen durch. Er sagte: "Ich bin der Engel des jüdischen Gottesvolkes. Ihre Pässe bitte!" Und alle nichtjüdischen Personen wurden mit den Worten zurückgeschickt: "Was da in Bethlehem geschieht, ist eine innerjüdische Angelegenheit: Die Geburt eines jüdischen Königs. Sie haben dort nichts verloren! Nach unserem Gesetz haben nur Juden das Recht, zu kommen und mitzufeiern!"

Da standen sie nun nach der langen Reise und schauten einander mit so betretenen Gesichtern an, wie man eben drein guckt, wenn man gerade erfahren hat, dass man gar kein Recht hat, Weihnachten zu feiern. Stellen Sie sich einmal vor, uns wäre das passiert: Ein Verbot Weihnachten zu feiern - nach all den Vorbereitungen…! Zum Glück ließ sich ihr Reiseführer nicht so leicht abwimmeln. Er trat nach vorne und sagte: "Es ist richtig, der Messias gehört eigentlich den Juden, dem auserwählten Volk Gottes. Aber diese Leute gehören auch dazu, weil Gott uns alle in seiner Liebe zu seinen Kindern erklärt hat, Juden wie Heiden. Jesus Christus, sein erstgeborener Sohn hat uns alle gelehrt, ihn als Vater anzubeten und ihn Abba zu nennen. Und auch diese Heiden sagen "Vater unser" wenn sie zu ihm beten."

Der Engel des jüdischen Volkes schauten nun jedem der Reisenden ins Gesicht und fragten: "Stimmt das? Betet ihr ihn wirklich als euren himmlischen Vater an?" Einige der Reisenden waren ein wenig überrascht und sagten: "Natürlich beten wir das "Vater unser", aber das war uns eigentlich gar nicht recht bewusst, wie wichtig es ist, dass wir Vater sagen dürfen. "Siehste!" sagte der Engel zu Paulus, "die wissen gar nicht, was ihnen geschenkt wird, wenn Gott sie als seine Kinder annimmt." - "Aber er nimmt sie als seine Kinder an", antwortete Paulus. "Also sei so gut und lass sie durch!“ Der kontrollierende Engel brummte noch: "Ich habe schon immer gesagt, dass Gott viel zu weitherzig ist, was die Heiden betrifft!" Aber dann machte er doch den Weg frei.

So konnten die Dietlinger weiterziehen, bis zum Stall von Bethlehem - fast bis zum Stall. Kurz davor kam noch einmal eine Schranke. Davor stand ein Engel mit einem Schwert. Der sagte: "Halt! Das hier ist ein heiliger Bezirk. Nach dem Gesetz der Heiligkeit darf man da nicht einfach reinlatschen. Ich fürchte, dass ihr nicht reif seid, das Geheimnis des Heiligen zu begreifen. Wenn ich euch durchlasen würde, würdet Ihr Weihnachten verkitschen. Die Geburt des Gottessohns würde zu einem Fest werden, bei dem das Essen das Wichtigste ist und die Geschenke. Über den Spielen, iPads und Goldarmbändchen und dem ganzen Kram, den Ihr einander schenkt, würde das Geschenk, das Gott euch gemacht hat, vergessen. Nein! Es ist meine Aufgabe das Heilige zu bewachen. Leute, die so einen so beschränkten Horizont haben wie ihr, sind verschlossen für den Sinn des Heiligen. Ihr kommt mir hier nicht durch." Sprach´s und stellte sich mit seinem Schwert mitten in den Weg.

Wieder war es Paulus, der sich für die Pilger einsetzte. "Du hast recht," sagte er zu dem Engel, der das Heilige bewachte. "Diese Leute haben sehr wenig vom Heiligen begriffen. Es sind halt Gotteskinder, die noch unter dem Einfluss fremder Mächte stehen. Aber gerade deshalb musst du sie durchlassen. Sie müssen zu Jesus kommen, damit er seinen neuen Geist in sie hineinlegen kann. In seiner Nachfolge erst werden sie zur Freiheit von den Mächten finden, die sie jetzt noch bevormunden. Und was das Heilige angeht, überlege doch einmal: Der ewige, heilige Gottessohn wurde von einer Frau geboren, hat den Himmel, hinter sich zurückgelassen, entäußerte sich all seiner Heiligkeit. Muss es da nicht so sein, dass man zunächst von der Heiligkeit dieses Festes gar nichts sieht und sie erst entdeckt, wenn einem Jesu Geist die Augen geöffnet hat? Also - sei so gut, lieber Engel: Geh ein wenig zur Seite."

Da sahen die Pilger einander ratlos an: "Wir sollen fremden Mächten unterworfen sein? Das ist uns noch gar nicht aufgefallen. Wir sind doch völlig frei, wenn wir einander etwas schenken und das Festessen planen!" "Macht doch einmal die Augen auf," sagte Paulus. "Es gibt Mächte, die einem Christen das Herz und den Kopf eng machen. Bei euch sind das z. B. die Bedingungen der Konsumgesellschaft, die euch hindern, Weihnachten in seiner Heiligkeit zu feiern, versteht Ihr, dieser ganze Rummel um Weihnachten. Das ist eine gewaltige Macht. Oder die Familientraditionen. Da muss Weihnachten in einer bestimmten Weise gefeiert werden, auch wenn es den Sinn des Festes verdunkelt. Und es gibt noch viele andere Gewalten. Bildet ihr euch ein, dass ich euch darüber einfach hinwegsetzen könnt?"

Nach dieser Belehrung konnten sie eine Weile überlegen. Und dann müsste jeder dem Engel mindestens eine solche einengende Gewalt aus seinem Leben ins Ohr flüstern. Danach hob der Engel die Hände auf und sprach: "Gott segne dich dazu, beim Kind in der Krippe die Freiheit der Gotteskinder zu finden." Mit diesem Segen durften sie dann die Schranke passieren.

So, nun wisst ihr, warum und wie auch die Dietlinger Weihnachten feiern dürfen. Aus demselben Grund dürfen wir auch im Abendmahl zu ihm kommen und sehen und schmecken, dass Gott Mensch wurde und erleben, dass er im Abendmahl eingeht in die Hütte unseres Leibes um die Gotteskindschaft in uns wachsen zu lassen. Amen.