4. Sonntag nach Trinitatis / 17. Juli 2011
Pfarrer Reinhard Wettach

  

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht.
1. Mose 50, Verse 15 - 21

 

Liebe Gemeinde!

"Lieber Gott. Wenn ich Gott wäre, würde ich nicht so gut sein. Halt tapfer aus! Dein Rudolf." - So lautet eines der Gebet in den "Kinderbriefen an den lieben Gott". "Wenn ich Gott wäre, würde ich nicht so gut sein." Ob das nur der ahnungslose Satz eines Kindes ist? Oder spiegelt nicht dieser Satz wider, was sich manchmal tief in unserer Seele regt: "… ich würde nicht so gut sein"?

Ich würde nicht so gut sein - dieses Verhalten vermuteten die Söhne Jakobs bei ihrem Bruder Josef. Und diese Vermutung war nicht aus der Luft gegriffen. Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern - wir werden sie noch aus dem Religionsunterricht kennen:

- wie Jakob, der Vater, unter seinen zwölf Söhnen Josef bevorzugte;
- wie die Brüder sich rächten, Josef in einen tiefen Brunnen warfen, ihn als Sklaven nach Ägypten verkauften und dem Vater einen tödlichen Unfall vortäuschten;
- wie Josef in Ägypten aus dem Gefängnis heraus die Träume des Pharao deutete und dann als Landesvater eingesetzt wurde, um Vorkehrungen für die vorausgesagte Hungersnot zu treffen;
- wie es zu den Begegnungen zwischen Josef und seinen Brüdern kam und Josef sich ihnen schließlich zu erkennen gab und es zur Aussöhnung kam;
- wie die Brüder zusammen mit ihrem alten Vater den Wohnsitz nach Ägypten verlegten;
- wie der Vater starb und dann die unbewältigte Vergangenheit wieder aufbrach.

Und damit sind wir bei unserem Predigttext und der Angst der Brüder, Josef könnte jetzt das begangene Unrecht heimzahlen.

Und Josef? Wäre es denn so unverständlich gewesen, wenn Josef voll Ungeduld den Tag erwartet hätte, da der Vater sterben würde, um endlich mit den Brüdern abzurechnen? Aber nein. Er sagt - und damit stehen wir in der Mitte unseres Textes und in der Mitte der ganzen Josefsgeschichte: "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. So fürchtet euch nun nicht." Über diese drei Sätze wollen wir jetzt miteinander nachdenken.

"Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen."

Josef tief unten in dem Brunnen, in Sklaverei und Gefängnis in Ägypten. Wie ein roter Faden zieht sich die Gesinnung dieser Brüder durch die Geschichte der Menschheit. Die Gesinnung begleitet den Weg Jesu von Nazareth über diese Erde. Sie zeigt sich immer wieder im Leiden derer, die an diesen Jesus glauben. Die Verachtung, die Menschen anderer Hautfarbe und anderer Rasse an vielen Orten dieser Erde erduldeten und erdulden. Und immer wieder dies: "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen." Der Menschenhass in unserer Zeit durch Kriege, Vertreibung und Misshandlung. Die Unterdrückung der Schwachen an vielen Stellen unserer Gesellschaft. Der Hass gegen Ausländer und Fremde. Und immer wieder dies. "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen." Es wäre zum Verzweifeln, wenn diese Gesinnung der Brüder das Einzige wäre, was Josef im Rückblick über sein Leben und wir über unsere Welt zu sagen hätten. Aber da ist ja noch der andere Satz:

"Aber Gott gedachte es gut zu machen."

Josef tief unten in dem Brunnen, in Sklaverei und Gefängnis in Ägypten. Und indem Josef ganz unten war, konnte Gott ihn zur Rettung machen.

Wir müssten schlechte Hörer des Wortes Gottes sein, wenn uns nicht sofort ein ganz anderes Unten einfiele. Wie da einer von seinen Nächsten ins Grab gelegt wird, ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Söhne und Töchter Gottes, hinausgeworfen in die Gottesfinsternis. Wie gerade so die neue Geschichte Gottes mit der Welt beginnt. Ganz unten beginnt Gott ganz von vorne, um seinen Plan durchzuführen, um die Trennung von Gott und Mensch zu überwinden, um uns frei zu machen für sich. Die Geschichte des lebendigen Gottes spielt eben nicht im luftleeren Raum, sondern sie ereignet sich auf dem Boden unserer Wirklichkeit, mitten in unseren alten Geschichten. Nicht im gelobten Land und nicht im Himmel, sondern am Kreuz Jesu auf Golgatha schlägt Gottes Liebe und Vergebung Wurzeln. Und Jesus Christus wird nicht nur unter Pontius Pilatus gekreuzigt, er wird auch im Herrschaftsbereich des Pontius Pilatus auferweckt. "Gott gedachte es gut zu machen." Dazu braucht Gott auch uns, um dies weiterzuglauben und weiterzulieben und weiterzuhoffen: "Gott gedachte es gut zu machen:"

"So fürchtet euch nun nicht."

Schuld, Vergebung und dann dies: So fürchtet euch nun nicht. Also Zukunft und Weite und Friede und Trost.

Es ist zum Wundern und doch so tröstlich, dass Gott sich nicht einmal durch die Schuld der Brüder davon abhalten lässt, Menschen, viele Menschen zu retten. Ja dass er gar - ich sage es so überspitzt - die Schuld der Brüder gebraucht. Denn wenn sie Josef nicht verkauft hätten, es wäre die Hilfe in Ägypten so nicht möglich gewesen. Es ist zum Wundern und doch so tröstlich, dass Gott die Dinge, die wir falsch gemacht haben und über die wir vielleicht noch lange unglücklich sind, in Segen verwandeln kann. Dietrich Bonhoeffer sagt das in seinen Briefen aus der Haft damals während des Dritten Reiches: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will; dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen."

"Lieber Gott. Wenn ich Gott wäre, würde ich nicht so gut sein. Halt tapfer aus!" - So hat Rudolf an den lieben Gott geschrieben. Gott hat tapfer ausgehalten, trotz unserer Schuld. Und er wird auch künftig tapfer aushalten, auch mit uns. Er weiß den Weg und er weiß das Ziel und er gibt die Kraft.

Amen.