5. Sonntag nach Trinitatis / 4. Juli 2010 / Verabschiedung der Kirchenältesten
Pfarrer Reinhard Wettach

  

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Lukas 5, Verse 1 - 11

 

Liebe Gemeinde!

Ein Fischerboot auf dem offenen Meer, ein alter Mann darin - das ist das Bild in der Novelle von Ernest Hemingway "Der alte Mann und das Meer". Der alte Mann bemüht sich nun schon wochenlang vergeblich um einen Fang.

Und dann erlebt er es, dass doch ein Fisch anbeißt, ein riesengroßer Fisch. Nur mit Mühe kann der Alte ihn erlegen. Aber der Fisch ist viel zu groß für das kleine Fischerboot. Darum befestigt der Fischer seine Beute außen an der Bordwand und tritt so die Heimfahrt an. Und muss unterwegs hilflos zusehen, wie Haie über seine Beute herfallen und ihm nur das Skelett des Riesenfisches übriglassen. So bleibt dem Mann am Ende nur tiefe Hoffnungslosigkeit, wo doch alles so hoffnungsvoll begann.

Mir ist, als wollte der Schriftsteller sagen: So ist das Leben! Viele große und kleine Hoffnungen, und am Ende bleibt nichts als Enttäuschung übrig.

Was mag der Fischer Simon mit seinen Arbeitskollegen alles empfunden haben an Enttäuschung, als er zu Jesus sagt: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen."

Was mag es in unseren Tagen, unter uns, an Hoffnungslosigkeiten und Enttäuschungen geben?

Dass immer noch junge Menschen sagen müssen: nun haben wir, auch mit mancher Energie und mit manchem Fleiß, unsere Schule, unsere Ausbildung, unser Studium beendet. Und jetzt bekommen wir keinen Ausbildungsplatz, keine Arbeitsstelle.

Dass ältere Menschen sagen müssen: nun haben wir ein Leben lang gearbeitet und jetzt am Ende wird nur darauf gewartet, dass wir endlich den Platz räumen.

Dass Eltern sagen müssen: nun haben wir alles getan für unsere Kinder. Und jetzt ist so vieles schwierig; jetzt gehen sie doch ihre eigenen Wege.

Dass kranke Menschen sagen müssen: nun haben wir unser Leben lang nichts Unrechtes getan. Und jetzt diese Krankheit.

Dass Sie als Kirchenälteste sagen müssen: nun sind wir mit viel Schwung und Energie an die Arbeit gegangen. Und dann konnten wir einfach nicht mehr.

Und dass Mitarbeitende bei uns und in anderen Gemeinden sich fragen müssen: nun haben wir unser Bestes gegeben. Und wo kann man Frucht sehen?

"Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen."

Die Geschichte von dem alten Mann unterscheidet sich jedoch ganz wesentlich von der Geschichte des Simon Petrus in unserem Predigttext. Dort bei dem alten Mann wird von Hoffnung erzählt. Und die Hoffnung wird zerstört. Hier bei Simon Petrus läuft alles umgekehrt. Weil da der am Werk ist, der die Hoffnung in diese Welt gebracht hat, darf die Hoffnung leben.

Ich erkenne in unserem Predigttext zumindest drei Schritte zur Hoffnung für uns heute morgen und für unsere Gemeinde hier in Dietlingen:

Der erste Schritt zur Hoffnung: Jesus macht uns fähig zum Hören.

"Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren."

So wahr es ist, dass Gott uns das Ohr und das Herz öffnen muss, dass wir sein Wort verstehen können - so wahr ist es, dass wir uns für oder gegen das Wort Gottes entscheiden können. Petrus hätte ja auch sagen können, mit Recht sagen können: Ich habe jetzt Wichtigeres zu tun, als mit dir, Jesus, da rauszufahren. Ich muss die Netze reinigen und vorbereiten für den Fischfang in der nächsten Nacht. Oder er hätte jetzt, auch mit gutem Recht, sagen können: Die Nacht war anstrengend, ich muss jetzt schlafen. Ich habe unter der Woche und auch samstags so viel zu tun; ich muss am Sonntag ausschlafen.

Das jedenfalls ist das erste Wunder in dieser Geschichte, dass Petrus sein Boot Jesus als Kanzel zur Verfügung stellt und bereit ist zu hören. Und das ist ebenso ein Wunder, dass sich an jedem Sonntag Menschen in den Gottesdiensten bei uns und überall versammeln, um das Wort Gottes zu hören. Gottesdienste in ganz verschiedenen Formen. Und so gehen wir jetzt mit unseren Gedanken zum Kinder-Bibel-Sonntag. Ich sage es sehr deutlich: Der Gottesdienst ist das Zentrum unserer Gemeinde. Und so muss es bleiben. - Jesus macht uns fähig zum Hören.

Bei Simon Petrus fängt das hier mit einer vergleichsweise kleinen Hilfeleistung, einer Gefälligkeit an: das Boot für einige Zeit als Kanzel. Ich sage: eine kleine Hilfeleistung für Jesus, die dann so viel nach sich zieht. Und ich denke, dass an diesen Kleinigkeiten sich auch heute Wesentliches entscheidet. Jesus nimmt auch von uns Handlangerdienste an. Es wird nicht immer ein Fischerboot sein, das wir ihm leihen können. Es könnte meine Stimme. Oder ein wenig Zeit für ein anderes Gemeindeglied. Oder irgendeine Fähigkeit, mit der er mich ausgestattet hat und die ich einbringe in das Ganze der Gemeinde. Oder dass ich andere, die ich hier vermisse, in den Gottesdienst einlade und mitnehme.

Vor zwei Wochen war in den Abkündigungen von einem Fahrdienst die Rede, mit dem wir Gemeindeglieder zum Gottesdienst mitnehmen, die allein den Weg hierher in die Kirche nicht mehr schaffen. Wir wollen unseren Herrn bitten, dass er uns zu diesen Handlangerdiensten befähigt, damit wir hören. Er macht Petrus und uns fähig zum Hören - ein erster Schritt zur Hoffnung.

Der zweite Schritt zur Hoffnung: Jesus macht uns willig zum Gehorchen.

"Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen."

Ich weiß nicht, wie viel Simon Petrus schon vorher von Jesus gehört hatte, so dass er vielleicht auf diese Attacke vorbereitet war: "Fahre hinaus." Er hat bestimmt kräftig geschluckt. Ihm sind bestimmt die ganz einfachen Fischerregeln durch den Kopf gegangen, dass man bei Nacht fischt und nicht am Tag. Ihm ging es bestimmt durch den Sinn, was denn dieser Wanderprediger aus Nazareth, ihm, dem erfahrenen Fachmann, vorschreiben könne. Es muss doch widersinnig sein zu tun, was Jesus sagt, grade nach den Erfahrungen der letzten Nacht.

Aber er tut das Widersinnige. Und handelt hier für alle, denen ihr Tun manchmal so unnötig, so vergeblich vorkommt und die darunter leiden. Simon Petrus steht für alle, die mit ihrer Kraft und ihren Möglichkeiten am Ende sind. Ihnen zeigt der Herr den Weg, indem er sagt: "Komm und sprich es Simon Petrus nach: Aber auf dein Wort. Und du wirst die Erfahrung machen, das Gott dem Gehorsamen den Lohn nicht versagt." - Jesus macht uns willig zum Gehorchen.

Es hat sich seit diesem Fischzug nicht so oft in der Geschichte der Kirche Jesu Christi ereignet, dass das Wort Gottes große Bewegungen ausgelöst hat. Wohl aber dies geschah zu ungezählten Malen, dass Jesus wie bei Petrus einem einzelnen, einer einzelnen vermittelte: "Ich mein’ jetzt dich. Ich habe einen Auftrag für dich." Der Auftrag muss gar nicht immer so gegen Sachverstand und Erfahrung laufen wie bei Simon Petrus. Vielleicht will unser Herr einer oder einem unter uns jemand anderen ans Herz legen, dass er oder sie Fürbitte tut, einen Besuch macht oder einen Brief schreibt. Oder vielleicht geht es darum, dass wir eine Aufgabe in unserer Gemeinde übernehmen, z.B. wenn die nächsten Kirchenältesten zu wählen sind. - Jesus macht uns willig zum Gehorchen - ein zweiter Schritt zur Hoffnung.

Und der dritte Schritt zur Hoffnung: Jesus macht uns bereit zum Dienen.

Am Ende unseres Predigttextes heißt es: "Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen." Du Simon Petrus, du Jakobus und du Johannes als Gefährten Simons. Du einzelner und du einzelne, der du ihm gehorchst, heute und jetzt. Jesus beteiligt dich an seinem Werk. Darum fürchte dich nicht!

Es ist nicht zu fassen und darum so tröstlich, dass Jesus diesen Simon Petrus in seinen Dienst ruft, dem eben angesichts des wunderbaren Fischzugs seine ganze Sündhaftigkeit vor Augen geführt wurde. Es ist so tröstlich, dass unser Herr sein Reich nicht mit Elitechristen baut, sondern mit solchen, die sehr wohl um ihre Zweifel wissen, ihre Ratlosigkeit, ihre Schwachheit im Glauben und ihr Versagen in der Liebe. Mit denen, mit uns baut er sein Reich.

Allerdings: Erfolg verheißt er uns dabei nicht. Wohl aber Frucht. Denn Jesus sagt uns zu: "Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht." Frucht, die hineinwirkt in die Ewigkeit.

Dabei wird die Frucht nicht an der Zahl der Menschen zu messen sein. Jesus sagt zu Simon nicht: "Von nun an wirst du 100 Menschen fangen, also für das Reich Gottes gewinnen, oder 1000." Menschen sagt er. Einen oder zwei. Wenige jedenfalls. Und wenn wir einmal in der Ewigkeit bei Jesus ankommen und da ein Mensch ist, der von sich sagen kann, er habe durch uns zum Glauben gefunden oder er sei durch uns nicht vom Glauben abgekommen - es wäre genug. Dann hätte sich auch in unserem Leben erfüllt: "Du wirst Menschen fangen:"

Du wirst Menschen fangen - das ist ein Bild. So wie beim Fischfang die Fische ins Boot geschafft werden, so sollen Menschen im Schiff der Kirche, in unserer Gemeinde geborgen werden. Sich geborgen fühlen. Weil da andere sind, die sie annehmen und ihnen nahe sind in Wort und Tat. Um Jesu willen. Nicht mit außergewöhnlichen, spektakulären Aktionen, sondern im alltäglichen Tun.

Es besteht Hoffnung, Hoffnung für uns und für unsere ganze Gemeinde. Schritte zur Hoffnung sind da: Jesus macht uns fähig zum Hören, willig zum Gehorchen und bereit zum Dienen.

Wir wollen unseren Herrn bitten: Lass uns deine Herrlichkeit ferner sehn in dieser Zeit und mit unsrer kleinen Kraft über gute Ritterschaft. Erbarm dich, Herr.

Amen.