Palmsonntag / 17. April 2011
Schuldekan Thomas Schwarz

  

Liebe Gemeinde,

wonach riecht Glaube?

Ja, nicht nach allzu viel. Jedenfalls nicht in unserem Teil der christlichen Kirche, wo wir im Großen und Ganzen alle anderen Sinne gebrauchen, nur nicht den Geruchssinn, wenn wir Gottesdienst halten. Unsere Augen und Ohren gebrauchen wir. Hier gibt es Musik und Wörter und Bilder. Beim Abendmahl benutzen wir den Geschmackssinn und wenn wir um den silbernen Becher greifen oder wenn ein Mensch getauft wird und das Wasser über seinen Kopf gegossen wird, wird unser Gefühlssinn aktiviert.

Aber die Nase halten wir meist zurück, wenn wir in unserer Kirche sind. Weihrauch und ähnliches, deren sich andere christliche Gemeinschaften bedienen, streift unsere Nase nur, wenn wir wie heute zu Gast bei den katholischen Schwestern und Brüdern sind.

Und eine solche geruchfreie Religion passt ja auch sehr gut in die heutige Zeit, wo es zunehmend Leute gibt, die meinen, man sollte die Religion aus dem öffentlichen Raum überhaupt heraushalten. Denn wenn es etwas gibt, was aufdringlich und öffentlich ist, dann sind es Gerüche. Man kann etwas übersehen oder überhören, aber man kann nicht so tun, als ob ein Geruch nicht da wäre. Wenn einem etwas unter die Nase gerieben wird, kann man nicht so tun, als wäre nichts. Kopftücher, Kreuze und missionarische Veranstaltungen in der Öffentlichkeit kann man verbieten. Aber für Gerüche kann man nicht so einfach Grenzen setzen. Die Überzeugungskraft des Duftes ist stärker als Worte, Augenschein, Gefühl und Wille. Die Überzeugungskraft des Duftes ist nicht abzuwehren, sie geht in uns hinein wie die Atemluft in unsere Lungen, sie erfüllt uns, füllt uns vollkommen aus.

Es ist eine Frau mit einem äußerst aufdringlichen Benehmen, der wir im heutigen Evangelium begegnen. Sie bleibt mit ihrem Glauben nicht im privaten Rahmen außerhalb der Öffentlichkeit. Nein, denn ihren Glauben kann man von weitem riechen. Und er duftet nach Nardenöl.

 

 

Nardostachys grandiflora
Joseph Dalton Hooke (1817-1911)

 

Und als er in Bethanien war, in dem Hause Simons des Aussätzigen, kam, während er zu Tisch lag, eine Frau, die ein Alabasterfläschchen mit Salböl von echter, kostbarer Narde hatte; sie zerbrach das Fläschchen und goß es aus auf sein Haupt. Es waren aber einige bei sich selbst unwillig: Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen? Denn dieses Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben werden können. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Laßt sie! Was macht ihr ihr Mühe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan; denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat im voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt. Aber wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch von dem, was sie getan hat, geredet werden zu ihrem Gedächtnis. Verrat des Judas.
Markus 14, Verse 3 - 9

 

Liebe Gemeinde,

der Duft war so himmlisch gut, dass ihnen schlagartig das Wasser in die Augen trat. Das Parfüm war herrlich. Dieses Parfüm war kein Parfüm, wie man es bisher kannte. Das war ein völlig neuartiges Ding, das eine ganze Welt aus sich erschaffen konnte, eine zauberhafte, reiche Welt, und man vergaß mit einem Schlag all die Ekelhaftigkeiten um sich herum und fühlte sich so reich, so wohl, so frei, so gut ... Hier im Hause Simons des Aussätzigen, hat es lange Zeit ganz anders gerochen. Kaum, dass etwas frische Luft hereinkam, denn die Tür hat sich sehr selten geöffnet. Wer kommt schon gerne zu einem zu Besuch, der an Aussatz leidet? Und wer geht schon gerne aus dem Haus, gezeichnet von dieser Krankheit? Dumpf und stickig war es hier, über und unter allen anderen Gerüchen eines Hauses der Geruch von Krankheit, von Salben und Verbänden. Eine Luft, manchmal wie in einem Grab. Ein Hauch von Tod.

Heute ist es anders. Auf einmal ist im Raum dieser Duft, der alle anderen Gerüche in den Hintergrund treten lässt. Ein himmlischer Duft.

Nardenöl ist ein Parfum. Das allerfeinste Parfum, das es überhaupt gibt. Es hat einen königlichen Duft, denn Nardenöl verwendet man, wenn man einen neuen König zu salben hat. Der Glaube der Frau an Jesus riecht also danach, dass sie glaubt, er sei König.

Aber er duftet auch nach etwas Anderem. Denn Nardenöl verwendet man nicht nur für königliche Salbungen. Es wir auch von der Braut am Hochzeitstag verwendet. Sie braucht es nicht für sich, sonder für ihren Bräutigam. Nardenöl ist auch das Öl, das junge, unverheiratete Mädchen jener Zeit in Krügen sammeln - als eine Art Aussteuer. Denn mit dem angenehm duftenden Öl werden sie vor der Hochzeitsnacht ihren Bräutigam salben.

Wenn eine Frau einen Mann mit Nardenöl salbt, ist das mit anderen Worten ein normalerweise recht privater Teil eines Hochzeitsrituals. Im Hohenlied Salomos können wir es nachlesen: 

 

Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, liebe Braut! Deine Liebe ist lieblicher als Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Gewürze.
Hoheslied 4, Vers 10

 

Nardenöl hat einen starken und durchdringenden Duft von Liebe und Hingabe. Deshalb ist es ein ziemlich peinlicher Auftritt, wenn die Frau dort mitten im Herrenfrühstück bei Simon Jesus salbt. Es duftet weithin nach einer Intimität, die nicht in die Öffentlichkeit gehört. Die Leute sind wegen der Frau und ihrer offenkundigen Werbung und Liebeserklärung zu Jesus mehr als peinlich berührt. Und wenn etwas peinlich ist, ja, dann reden wir ganz schnell von etwas anderem.

In diesem Fall greifen Leute zu dem nahe liegenden Thema, das nicht riecht: nämlich Geld. "Dieses Öl hätte man verkaufen und das Geld den Armen geben können." Aber Jesus antwortet: "Die Armen - die habt ihr allezeit bei euch." "Die Armen - sie sind immer da und werden immer da sein, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun," sagt Jesus, "aber mich habt ihr nicht allezeit."

Dies hat die Frau verstanden, und dies veranlasst sie zu ihrem Handeln. Etwas muss getan werden. Hier und jetzt. Koste es, was es wolle. Die Tat der Liebe kann nicht auf eine andere Gelegenheit warten oder in kaltes Bargeld umgetauscht werden. Der Glaube der Frau duftet. Nach Nardenöl. Nach Liebe und Hingabe. Und Jesus beantwortet und verteidigt ihren Glauben: "Sie hat getan, was sie konnte."

Die anderen - die Männer rund um den Tisch - denken eifrig aus, was die Frau hätte tun sollen und können. Jesus antwortet ihnen: "Sie hat getan, was sie konnte." Und der Glaube soll weder weniger noch mehr als dies tun. Das ist alles. Und es ist genug.

"Überall, wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat." So beendet Jesus die Diskussion, und damit zeigt er plötzlich auf uns, die wir heute hier sitzen und die Geschichte wieder hören.

Auf sonderbare Weise werden wir durch diesen Satz in das Evangelium hinein genommen. Und die Frau, die anonyme Frau, von der wir im Markusevangelium weder vorher oder nachher etwas hören, wird plötzlich neben uns gesetzt - als ein zu allen Zeiten gültiges Bild dessen, was der Glaube ist, und was er tut. "Sie hat getan, was sie konnte," - das ist es, was man zu ihrem Gedächtnis sagen soll. Nicht große, wunderbare und phantastische Taten, - ihre Tat änderte gar nichts. Sie bewirkte kein Wunder und sie verhinderte nichts. Aber der Frau soll um des einen Willen gedacht werden: dass sie treu war - dass sie tat, was sie tun konnte.

Heute ist Palmarum. Die stille Woche mit ihrem Leiden, Verrat, Leugnung und Tod beginnt heute. Jesus ist auf dem Weg zum Grab. Nichts kann das verhindern. Von jetzt an breitet sich die Finsternis aus, um am Samstag  alles einzuhüllen, an dem merkwürdigsten Tag des ganzen Kirchenjahres, an dem Jesus weg ist, tot und begraben, niedergefahren in die Finsternis und in das Grauen des Totenreichs und der Hölle.

Aber vor all dem Furchtbaren tut die Frau, was sie kann. Sie kann Leiden und Tod nicht verhindern, aber sie kann die Taten der Liebe tun. Die Frau, die tut, was sie kann, als sie Jesus salbt und ihm ihre Liebe und Hingabe zeigt, - sie kommt den Frauen zuvor, die nächsten Sonntag, am Ostermorgen, zum Grab gehen, um Jesu Leiche zu salben. Auch die Frauen haben getan, was sie konnten. Nach aller Grausamkeit, Demütigung und Leiden herrscht das Schweigen des Todes. Und sie haben getan, was sie konnten: Sie haben den Toten in ein Tuch gewickelt und ihn begraben. Sie haben an der Liebe und Fürsorge für den Toten festgehalten. Am Ostermorgen sind sie unterwegs zu dem Grab mit ihren Ölkrügen, um die letzte Liebestat an ihm zu tun.

Aber da ist keine Leiche zu salben. Denn Gott hat auch getan, was er kann. Jesus konnte nicht im Grab gehalten werden. Er konnte nicht weggesteckt und vergessen werden. Die Geschichte von ihm geht noch immer um und hat Gültigkeit. Denn die Liebe, mit der er liebte, - die Liebe, die sich selbst hingab, koste es, was es wolle, - die Liebe, Jesus, war stärker als der Tod. Und deshalb gedenken wir auch immer noch der Frau und ihrer Liebestat.

Wie riecht Glaube? Jedenfalls nicht muffig, eingesperrt oder alt geworden. Und schon gar nicht steril oder wie gescheuert und schön, korrekt. Denn der Glaube ist Glaube an ihn, der sich selbst hingegeben hat, koste es, was es wolle, und der Grenzen, Gesetze, Höllentore und Gräber gesprengt hat, damit zu sehen, zu hören, zu schmecken und zu riechen war, dass Gott so ist und dass Gott so handelt.

Wie riecht also der Glaube? Vielleicht wie ein Frühlingsmorgen, an dem der Duft von Blumen und regennasser Erde einen die Luft verschwenderisch genießen lässt, und man es nicht für sich behalten kann, sondern es dem nächsten Menschen, dem man begegnet, sagen muss: "Mmmh, kannst du es riechen? Jetzt kommt der Frühling."

Amen