5. Sonntag nach Epiphanias / 6. Februar 2011
Schuldekan Wolfgang Raupp

  

Liebe Gemeinde!

Zu unserem heutigen Gottesdienst begrüße ich sie ganz herzlich. Ich habe das Gefühl, dass heute ein besonderer Gottesdienst ist und möchte Ihnen das ein wenig erklären. Vielleicht kennen Sie das Lied "Wind of Change". Das steht nicht im Gesangbuch. Es ist von den Scorpions. 1990 wurde es zu einem ganz großen Hit und galt in den Medien als sogenannte "Hymne der Wende". Dieses Lied ging mir immer wieder im Kopf herum, als ich anfing, über diesen Gottesdienst nachzudenken - schon vor den Ereignissen in Tunesien und Ägypten. Wind of Change - Wind des Wandels: das hat mich beschäftigt einmal weil wir im Kirchenjahr in einer Wendezeit angekommen sind. Am 5. Sonntag nach Epiphanias nehmen wir Abschied von Weihnachten. Aber wenn an Weihnachten wirklich etwas Neues angefangen hat, dann kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, dann muss sich etwas ändern in unserer Welt, dann muss ein Wind des Wandels zu spüren sein in dem, was jetzt passiert. Unsere Pfarrerin wurde verabschiedet, neue Kirchenälteste werden heute gewählt. Das richt doch nach Wendezeit! Herr Schwarz wird heute verabschiedet als langjähriger Obmann des Posaunenchores. Vielleicht auch eine Wendezeit. Dann habe ich den Predigttext für diesen Tag gelesen und festgestellt: Da kommt er ja auch vor, dieser Wind des Wandels! Und dann die Ereignisse in Tunesien und Ägypten: "Wind of Change". Offenbar sollen wir für das Neue vorbereit sein.

In diesem Sinne lassen Sie uns das Eingangslied singen: "Auf und macht die Herzen weit ..." EG 454, Verse 1 - 6

 

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 40. Kapitel im Jesaja-Buches. Wenn man dieses Buch im Zusammenhang liest, merkt man: Mit Kapitel 40 fängt etwas Neues an. Da weht ein anderer Wind. Der "Wind of Change", der "Wind des Wandels", ist zu spüren. Ich lese Ihnen einmal ein paar Sätze aus dem 38. Kapitel vor und dann zum Vergleich den Predigttext:

 

Der König Hiskia spricht: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben. Ich sprach: Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen; nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen mit denen, die auf der Welt sind. Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich vom Faden; Tag und Nacht gibst du mich preis.

 

Diese Verse werden als das Lied Hiskias bezeichnet. Aber das ist nicht nur das Lied des Königs Hiskia. Für viele Menschen ist dieses Lied zum Lied ihres Lebens geworden, wenn Gott ihnen zum Rätsel wird, z.B. wenn wir selber oder jemand aus unserer Familie eine Diagnose erhält, die darauf hinausläuft, dass man mit dem Schlimmsten rechnen muss. Und die jungen Leute in Ägypten singen das Lied Hiskias. Weil sie keine Chance für einen Beruf und eine Familie sehen, kommen sie sich vor wie ein Faden am Webstuhl, der abgeschnitten und weggeworfen wird. Sicher sind manche von uns auch darüber enttäuscht, wie sich unsere Gemeinde in den letzten Jahren entwickelt hat. Natürlich lag das auch an Menschen - nicht nur an unserer früheren Pfarrerin, auch nicht nur am Oberkirchenrat. Es lag auch an uns. - Aber es lag eben auch an Gott. Wir sind doch seine Kirche. Und ob es etwas gelingt oder nicht, ist letztlich nicht Menschensache, sondern seine Sache. Hiskia war angesagt worden, dass er in jungen Jahren sterben würde. Und er fragte sich: Warum tut das Gott? Dann hat er noch einen kleinen Aufschub bekommen und hat noch ein paar Jahre leben dürfen bis seine Hütte abgebrochen und sein Lebensfaden abgeschnitten wurde. Mit seinem Tod brach das große Königreich Davids und Salomos zusammen. Die babylonischen Heerscharen kamen, plünderten, mordeten und schleppten viele in Gefangenschaft.

Eine kleine Gruppe von Anhängern des Propheten Jesaja hielt in der Verbannung am Glauben fest mit dem Lied Hiskias auf den Lippen. Sie dachten: Wir sind wie Fäden, die von Gott abgeschnitten wurden. Sie versuchten auf die Warum-Frage, eine Antwort zu finden. Und die lautete: "Was ihr erfahrt, ihr Hiskia-Leute, ist die Strafe für euer gottfernes Leben." Das ist ein schwacher Trost, aber immerhin eine Antwort. Aber dann von Kapitel 40 an ist auf einmal eine andere Stimme zu hören, die neue Töne anschlägt. Wir wissen nicht, wie der Mann hieß, diese Verse etwa 200 Jahre nach dem Propheten Jesaja geschrieben hat. Man nennt ihn den 2. Jesaja. Hören wir also auf die Worte unseres heutigen Predigttextes Jesaja 40, Verse 12 - 25:

 

Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und fasst den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage? Wer bestimmt den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes? Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein. Der Libanon wäre zu wenig zum Feuer und seine Tiere zu wenig zum Brandopfer.  Alle Völker sind vor ihm wie nichts und gelten ihm als nichtig und eitel. Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen? Oder was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen? Der Meister gießt ein Bild und der Goldschmied vergoldet's und macht silberne Ketten daran. Wer aber zu arm ist für eine solche Gabe, der wählt ein Holz, das nicht fault, und sucht einen klugen Meister dazu, ein Bild zu fertigen, das nicht wackelt. Wisst ihr denn nicht? Hört ihr denn nicht? Ist's euch nicht von Anfang an verkündigt? Habt ihr's nicht gelernt von Anbeginn der Erde? Er thront über dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken; er spannt den Himmel aus wie einen Schleier und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt; er gibt die Fürsten preis, dass sie nichts sind, und die Richter auf Erden macht er zunichte: Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stamm eine Wurzel in der Erde, da lässt er einen Wind unter sie wehen, dass sie verdorren, und ein Wirbelsturm führt sie weg wie Spreu. Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.

 

Merken Sie, was da gleich ist und was anders ist? Gleich ist, dass es viele, viele Fragen gibt, auf die man keine Antwort weiß. Gleich ist, dass die Menschen die Unergründlichkeit Gottes erfahren. Gott ist und bleibt das letzte und größte Rätsel. Aber die Fragen in Kapitel 40 klingen ganz anders. Es sind bewundernde Fragen. Es wird spürbar, dass man vor der Größe Gottes nicht nur erschrecken muss. Man kann sich, ja man muss sich über diese Größe eigentlich freuen. Ja, auch beim 2. Jesaja bleiben Fragen, viele Fragen, wir haben es ja gehört. Die letzte Frage lautet: Mit wem wollt ihr mich vergleichen? Soll man ihn mit der hellen, wärmenden Sonne vergleichen, die wir jetzt gegen Ende des Winters wieder spüren? Oder mit einem mächtigen, herrlichen König, mit einem gütigen, liebenden Vater oder mit einer Mutter? Welcher Name, welche Bezeichnung löst das Rätsel?

Selbst wenn wir für Gott 100 Namen wüssten, wie das im Islam der Fall ist, bliebe er ein Rätsel. Einmal ehrlich: Wenn wir ihn König und Vater und Schöpfer und Richter nennen, haben wir dann Geheimnis gelüftet und sein Handeln begriffen? Sind diese Namen nicht wie die Bilder, begrenzte Versuche, sein Geheimnis in menschliche, unzureichende Worte zu fassen? Ein großer Philosoph, Ludwig Wittgenstein, hat einmal gesagt: Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. Aber wie soll man denn mit Gott in Beziehung treten, wenn man nicht über und v.a. mit ihm reden soll?

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie wenig in der Bibel über Gott geredet wird? Es wird über Menschen geredet, über Abraham z.B. Gott sagt zu Abraham einen Satz: "Geh in ein Land, das ich die zeigen werde." Und dann kommen 100 Sätze oder mehr, wie es dem Abraham erging, als er sich aufmachte.

Oder nehmen Sie die Geschichte von Jospeh und seinen Brüdern. Da muss man Gott mit der Lupe suchen. Es wird eine Geschichte von Menschen erzählt. Erst wenn man nachdenkt, ahnt man, dass da noch ein anderer seine Hand im Spiel hat.

Oder denken Sie an die Predigt Jesu: Wieviele Vorträge hat er über Gott hat er gehalten? Ich kenne keinen. Und wie viele Gleichnisse hat er erzählt? Etwa 50! Gleichnisse definieren Gott nicht, legen ihn nicht auf eine bestimmte menschliche Vorstellung fest. Sie sind wie die Zeichen und Wunder Denkanstöße, die auf etwas hinweisen, ohne dass Gott in eine bestimmte Lehre eingesperrt wird.

Was hat sich da geändert zwischen dem Kapitel 39 und 40? Hiskia und seine Leidensgenossen leiden darunter, dass sie Gottes Handeln nicht verstehen. Und nun soll ihnen der Blick weit gemacht werden, damit sie die Größe Gottes und seines Handelns wenigstens ahnen können. Der zweite Jesaja sieht einen Gott, der alles in seiner Hand hat, das Wasser der Ozeane, die Berge, die Völker und selbst die mächtigsten Herrscher.

Er hat es in der Hand. An dieser Einsicht machte sich im Lied Hiskias diese Irritation am unbegreiflichen Gott fest. Und an demselben Satz macht sich beim zweiten Jesaja Hoffnung und eine neue Erwartung fest. Es hat es in der Hand. Und wir können nicht tiefer fallen als in seine Hand. In dieser Hoffnung haben die Israeliten damals angefangen Ausschau zu halten nach dem Neuen, das dieser Gott schaffen wird. Und wir werden heute auch eingeladen, Ausschau zu halten, nach dem, was er tun wird.

Spürt ihr nicht schon etwas vom Wind des Wandels? Das ist die Botschaft, die der zweite Jesaja den Israeliten zurief, die im babylonischen Exil und in der Resignation saßen. Der Wind des Wandels, der Wind Gottes bläst die Fürsten weg wie Spreu! (Vers 24) In Babylonien damals und in Tunesien und Ägypten heute und immer wieder. Und dann kommt etwas Neues!

Was heißt das "Wind des Wandels"? Was hieß das damals in Babylonien? Heißt das, dass Gott sich ändern wird? Dass er endlich eingesehen hat, dass er die Wünsche der Menschen erfüllen muss? Dann wird ein neuer König kommen, ein neuer Messias, der die Babylonier besiegen und in Jerusalem das Königreich Davids und Salomos wieder aufrichten wird. Es war es ja ein bisschen so ähnlich aber doch zugleich ganz anders.

Jahre später, nach dem ersten Weihnachtsfest, kam einer und hat gesagt: Das Reich Gottes ist herbeigekommen. Jetzt fängt es an. Tut Busse, d.h. ändert euch, öffnet euch! Lasst euch erfassen von diesem Wind des Wandels! Und einige haben gesagt: Ne, das haben wir uns anders vorgestellt! Aber andere haben gesagt: Uns geht ein neues Licht auf. Jetzt ahnen wir erst, was das ist, das Gottesreich. Den Wind des Wandels sollten die Israeliten spüren, weil sich nicht nur die Verhältnisse, sondern die Menschen ändern sollen.

Wie mögen Menschen diese Sätze hören, die wie Hiskia durch den Tod mit der Unbegreiflichkeit Gottes konfrontiert wurden? Der zweite Jesaja sagt nicht: Gott handelt jetzt nach euren Wünschen und nimmt den Tod zurück. Er sagt von Gott: Er fasst den Staub der Erde, alle Vergänglichkeit, die uns erschrecken will, in sein Gefäß und misst sie mit seinem Maß, nicht mit unserem. Was unsere Vorstellungen sprengt, ist in seiner Hand die Erfüllung unseres Lebens. Ja, wir fallen. Aber nicht tiefer als in seine Hand.

Und wie hören wir diese Verse nach den Erfahrungen mit unserer Gemeinde in den letzten Jahren? Liebe Gemeinde, wenn Gott seinen Wind wehen lässt, wenn er einen neuen Anfang macht, kann niemand Zuschauer bleiben. Dann können wir uns nicht zurücklehnen und sagen: Mal sehen was er macht. Dann sind wir gefragt, ob wir für diesen Neuanfang bereit sind und ob wir dabei sind, wenn es drauf ankommt.

Amen.