13. Juli 2008 / Gottesdienst mit Kinder-Bibel-Sonntag im Oberlinhaus
"Schwein gehabt!" - "Und Danke gesagt?"
Pfarrerin Katharina Vetter

  

Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern ! Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein. Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Dieser Mann war aus Samarien. Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.
Lukas 17, Verse 11 - 19

 

So denken wir. So handeln wir. So gehen wir mit uns und mit anderen um - wenn wir nicht gerade über unsere Mitmenschen oder das Leben allgemein schelten und mit uns selbst unzufrieden sind.

Familie Sorglos in dem kleinen Theaterstück war in ein schweres Unwetter geraten und ist mit dem Schrecken davon gekommen. Sicher haben Sie auch schon ähnlich aufregende oder noch gefährlichere Situationen erlebt.

Vielleicht können Sie sich auch in die Situation der Aussätzigen aus dem Mittelteil des Theaterstücks hineinversetzen - eine Krankheit bricht über sie herein wie eine "Naturkatastrophe". Oder ein anderes Gebrechen hindert Sie daran, am gesellschaftlich akzeptierten Alltagsleben teilzunehmen und sich in Ihren Beziehungen so zu verhalten, wie es von Ihnen erwartet wird: zuverlässig, pünktlich, mit Engagement.

Vielleicht mussten Sie schon hin und wieder Entscheidungen treffen, die nicht in die Kultur unserer "Sonnenscheinbeziehungen" hinein gepasst haben. Vielleicht mussten Sie sich zeitweise mehr um sich selbst, um ihre Familie oder ihre Partnerschaft kümmern.

Und Sie haben erlebt, wer Ihnen dann Interesse und wer eher Desinteresse oder gar Ablehnung entgegen gebracht hat, wenn Sie nicht mehr erwartungsgemäß funktionierten. Wie willkommen waren sie, als sie wieder in der Lage waren, bei den anderen mit zu machen?

Interessant, wie die Sorglos' sich verhalten nach dem überstanden Unwetter: Zuerst einmal haben die Mutter und die Kinder den Schaden besehen, ein wenig gescholten und sich "die Wunden geleckt".

Während der Vater für einen warmen Kakao sorgt, wird den anderen bewusst, was ihnen hätte passieren können ... Und sie erzählen einander von ihrer Angst: "Der Blitz hat in den Baum eingeschlagen, keine zehn Meter neben mir. Der hätte mich erschlagen können." "Die Erde hat gezittert von dem Knall." "Ich glaub ich hab geschrien vor Angst."

Ob wir auch so miteinander reden würden?

Vielleicht würde sich bei uns jeder in ein Zimmer zurück ziehen: Die Tochter ins Bad, um die Frisur zu retten; der Sohn vor den PC, um sich etwas abzulenken und die Mutter mit einer Wolldecke aufs Sofa. Und jeder nähme seine Angst mit ...

Vielleicht würden alle drei auch denken: "Mensch, da haben wir Schwein gehabt". Aber ob das noch jemand aussprechen würde, wenn alle  gemütlich heißen Kakao schlürften?

Familie Sorglos gönnt sich ein Innehalten und alle sind es scheinbar gewöhnt, dass sie ihre Gefühle aussprechen - kurz und ganz natürlich.

Gleichzeitig kommt raus, wie sie bewerten, was sie eben erlebt und gefühlt haben.

"Da hatten wir unglaubliches Glück." sagt die Mutter. "Mensch, haben wir Schwein gehabt!" sagt der Sohn.

Bei uns schließt sich an dieser Stelle vielleicht noch ein erleichterter Stoßseufzer an. Dann gehen wir zur Tagesordnung über, genießen das süße Getränk und die entspannende Wärme, die sich nun in uns ausbreitet. ...

Über die Situation der Aussätzigen zur Zeit Jesu hat uns Christiane Bach einiges erzählt.

Ich überlege mir, wer heute am Rand unserer Gemeinschaft steht und manchmal wortlos und unhörbar "von ferne" um Hilfe schreit ...
wenn das Geld hinten und vorn nicht reicht ...
wenn die Kinder Probleme machen ...
wenn der Partner einer anderen schöne Augen macht ...
wenn das Arbeitsklima nicht mehr stimmt ...
wenn Sucht und Gewalt im Spiel sind ...

Und auch ich selbst finde mich immer wieder einmal in Situationen wieder, wo ich am Ende bin und aus eigener Kraft nicht mehr weiter weiß: weil mein Leben eine Wendung nimmt, die ich weder begreifen noch annehmen kann. Oder weil das Leben eines nahen Menschen am seidenen Faden hängt und ich ohnmächtig zuschauen muss. Oder weil ich wieder einmal erkenne, wo ich mich rücksichtslos mir selbst oder meinen Nächsten gegenüber verhalte.

"Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!" rufen die Aussätzigen.

Und wir sprechen hier und da wohl unser Stoßgebet. Manchmal sind's auch zwei bis vier ...

"Geht hin und zeigt euch den Priestern!" antwortet Jesus den Aussätzigen. "Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein."

Vielleicht wenn wir in uns gehen, entdecken wir auch, dass unsere kurzen oder längeren Gebete ihre Antwort finden:

Wie sah Ihr Leben vor drei Jahren aus?  
Und wie vor fünf?
Was hat sich seither gewandelt?
Was ist vergangen, in den Hintergrund getreten?
Was ist gewachsen oder aufgeblüht?
Wie haben Sie damals gedacht und wie denken Sie jetzt?

Vater und Tochter Sorglos gehen auch in sich.

"Wenn ich mich erinnere", sagt der Vater, "dann habe ich das Gefühl, jemand hätte uns beschützt. Ich habe bei jedem Donnerschlag Gott angefleht, dass uns nichts passiert." "Ich auch", gibt die Tochter zu. "Und jetzt ist uns wirklich nichts passiert - außer deinen Locken vielleicht ..."

Tja, wie bewerten wir das, wenn sich in unserem Leben, Ruhe und Frieden einstellen, wenn wir aufatmen können nach überstandener Gefahr, wenn wir erleichtert sind oder sogar Glück und Freude erleben?

"Glück gehabt!" sagen wir oder auch "Da hatten wir einen Schutzengel." Vielleicht tanzen wir auch und jubeln über eine gute Nachricht.

Oder wir drücken es so aus wie Mutter Sorglos: "Ich habe das Gefühl, dass das kein Zufall war. Wie durch ein Wunder sind wir dem Gewitter entkommen."  

"Einer aber von den Aussätzigen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm."

"Einer aber, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm."

"Net gscholte isch gnug gelobt."

So denken wir.
So handeln wir - oft. 
So gehen wir um mit uns und mit anderen ... und mit Gott.
Das muss nicht so bleiben - "Gott sei Dank!"

Wir dürfen uns verändern. Wir dürfen uns auch verändern lassen - von Gott - und Neues ausprobieren.

"Gott sei Dank!" so sagen wir ja manchmal. Das ist auch ein Stoßgebet - ein "Stoßdankgebet" vielleicht. Und manchmal kommt es uns mit einem erleichterten Seufzer so recht von Herzen über die Lippen.

Was der Vater Sorglos im Theaterstück ausprobiert hat, finde ich mutig. Je länger er darüber nachdachte, was hätte passieren können, desto dankbarer wurde er. Er lädt seine Familie ein, Gott "einfach" gemeinsam "Danke" zu sagen.

Da hat er schon recht, denke ich. Das müsste doch möglich sein - eine angemessene "natürliche" Form finden, um Gott zu danken.

Ich finde das auch schön, wie die Sorglos' sich an die Hände fassen und den schlichten Satz sagen: "Gott, du hast uns heute im Unwetter bewahrt. Wir sind so froh, dass uns nichts passiert ist. Danke. Amen."

Nur - ehrlich gesagt - "einfach" finde ich das nicht.

Vielleicht muss ich ja auch eingestehen, dass ich mich in meine eigenen Lösungsversuche verrannt hatte, bevor ich Gott für seine Lösung danken kann.

Ich merke, da gehört Mut dazu, wenn ich mein Verhalten verändern und Neues ausprobieren will. Das ist ungewohnt: Innehalten - mich besinnen - umkehren, statt weiter zu rennen im gewohnten Trott und nach überstandener Gefahr gleich wieder für das "pralle Leben" verfügbar zu sein.

Neun Geheilte schaffen diese Umkehr nicht.

Doch Gott möchte in Beziehung bleiben mit uns. Wenn unser Schrei bei ihm Widerhall und Antwort findet wie der Ruf der Aussätzigen bei Jesus, dann ist das erst der Anfang einer Beziehung.

In dieser Beziehung kann ein Gott-Vertrauen wachsen, dass uns wirklich hilft und heil macht. Dieses Vertrauen richtet uns auf, dass wir uns fühlen wie neu geboren. Es hält und trägt uns, welche Wendungen auch immer unser Lebensweg in Zukunft noch nehmen wird. Denn mein alltägliches Leben mit seinen Möglichkeiten zur Veränderung ist der Lohn für mein Gottvertrauen. Das macht uns zu Menschen, die jetzt schon Erlöste sind.

So jedenfalls verstehe ich das, wenn Jesus zu dem Einen sagt: "Richte dich auf und brich auf ins Leben, dein Vertrauen hat dich erlöst." Amen.