Septuagesimae / 12. Februar 2006
Pfarrerin Katharina Vetter

  

Liebe Gottesdienstgemeinde,

diese Predigt heute braucht ein Vorwort: Ein Vorwort wie dieser oder jener lebensnahe Roman.

Es lautet: Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbene Personen sind rein zufällig und sehr wohl beabsichtigt.

Zunächst einmal geht es nämlich um Onkel Albert und Onkel Paul. Beide sind immer wieder zu diversen Familienfeierlichkeiten eingeladen Und beide teilen eine Leidenschaft: sie reisen gern und möglichst exotisch muss es sein. Der aufmerksamen Beobachterin indes entgeht es nicht, das sich die anderen Gäste lieber zu Onkel Paul setzen, während niemand so ganz freiwillig die Gesellschaft von Onkel Albert sucht. Während der erstgenannte in bilderreicher Sprache die wunderbare Natur und auch kulturelle Sehenswürdigkeiten rühmt, hat man bei Onkel Albert den Eindruck, das das Einzige,was er rühmen kann, sein praller Geldbeutel ist, der ihm diese ausgefallenen Reisen ermöglicht. 

  

So spricht der Herr: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums. Nein, wer sich rühmen will, rühme sich dessen daß er Einsicht hat und mich erkennt, daß er weiß: Ich der Herr, bin es, der auf der Erde Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft. Denn an solchen Menschen habe ich gefallen.
Jeremia 9, Verse 22 + 23

 

Jeremia, König Jojakim und die Oberschicht

So spricht der Prophet Jeremia zu König Jojakim, der machtbesessen und ruhmsüchtig nicht weiß, auf welche der benachbarten Großmächte er setzen soll. Um wenigstens einen Abglanz des Ansehens zu erheischen, ist er bereit sich und ganz Israel zu verkaufen, sich in unerträglicher Weise anzubiedern. Unterstützt wird er von einer ebenso konsumorientierten Oberschicht, denen beinahe nichts mehr heilig ist.

An sie ergeht ein Prophetenspruch zum Thema: "Rechtes Rühmen".

Wir haben aufmerksam zugehört: Jeremia sagt nicht: Lasst das Rühmen. Sein Motto ist vielmehr: Sich rühmen - JA! und zwar mit Selbstbewusstsein.

Selbstbewusstsein = Bewusstsein von sich selbst, das mit der Realität übereinstimmt - muss meines Erachtens lebenslang aufgebaut werden

Kehren wir also zurück zu Onkel Albert und Onkel Paul - was beide unterscheidet = Selbstbewusstsein

Onkel Albert rühmt seinen Geldbeutel. Er würde vielleicht von sich sagen: "Ich verdiene überdurchschnittlich gut, also bin ich ein wertvoller Mensch." Seine Geschichten sind deshalb schnell langweilig, weil sie immer irgendwie von ihm selbst handeln. Onkel Paul weiß auch, dass es sein Geldbeutel ist, aus dem er seine Reisen bezahlt. Er ist vielleicht ebenso stolz auf seine beruflichen Leistungen, wie Onkel Albert. Und doch erzählt er ganz anders als dieser. Im Fall von Onkel Paul war es wie ein Blitzschlag, als sein Selbstbewusstsein erweitert und an die Realität angepasst wurde. Auf einer seiner Reisen ist er umgefallen, von jetzt auf gleich, und wenn nicht "zufällig" ein Spezialist zur Stelle gewesen wäre, könnte er heute in kein Flugzeug mehr steigen.

Seither weiß er, dass es "etwas" jenseits seines Kontos gibt, dem er sich selbst und seinen Reichtum verdankt.

Seine Geschichten sind nie langweilig - Er beschreibt mit Begeisterung die Schöpfung und die Geschöpfe, denen er auf seinen Reisen begegnet. Und wenn er ins Stauen kommt, schimmert ein Lob des Schöpfers selbst hindurch.

Weisheit - Intelligenz, Ausbildung, Lebenserfahrung - wohl dem, der etwas davon hat. Stärke - eine Machtposition: im Geschäft, als Eltern - nicht zu verachten. Reichtum - wunderbar!

Und doch: Wer sein Selbstbewusstsein, seinen Selbst­wert, daraus schöpft, ist wie ein Mensch, der sein Haus auf Sand baut. Sturm und Regen schwämmen es hinweg.

Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei. Und klug ist, wer Gott kennt, uns sagt Jeremia.

Das ist ein wunderbarer Satz - vielleicht der Satz, dessentwegen sich das Aufstehen heute Morgen gelohnt hat.

Klug ist, wer Gott kennt.

Das heißt: Gerade wer schon einmal erlebt hat, dass er oder sie sich nicht allein auf seine Intelligenz verlassen kann; wem die Machtposition am Arbeitsplatz oder in der Familie abhanden gekommen ist; wer mit jedem Cent rechnen muss - hat die Chance, sein Selbstbewusstsein um einen Wesentlichen Baustein zu erweitern: Ich bin endlich. Ich weiß nicht alles und selbst das, was ich weiß, ist mir nicht immer dienlich. Ich habe nicht alles in der Hand, am wenigsten mich selbst und meine Lebensumstände. Ich kann mir nicht alles leisten und auch wenn ich es könnte, bleiben wesentliche Dinge, die man sowieso nicht bezahlen kann.

Klug ist, wer Gott kennt.

Das heißt auch: Du bist wertvoll, weil du da bist. Du lebst, du einzigartiges Geschöpf. Wie wunderbar. Welch ein Geschenk! Und vielleicht gibt es oder gab es einen Menschen auf der ganzen Welt, der dir das einmal gesagt hat: "Welch ein Geschenk, dass du da bist."  Vielleicht erinnerst du dich an eine Hand, die deinen Leib liebkost hat und dich so unmissverständlich erfahren ließ: "Mir bist du wichtig. Ich lieb dich."

Klug ist, wer Gott kennt.

Wer Gott als Herrn kennt, sagt Jeremia. Er erinnert uns mit diesem Wort daran, der Gott Israels ist nicht der Gott der vollen Fleischtöpfe und auch nicht ein Gott der dicken Geldbeutel. Gott, so wie wir ihn kennen, befreit. Er wandelt Menschen und Lebenssituationen, um die, die an ihn glauben ins Land der Verheißung zu führen. Auch dich führt er. Du vertraust ihm und magst erkennen, wie er tagtäglich dein Selbstbewusstsein erweitert. Er befreit dich von unrealistischen Vorstellungen über dich selbst. Wie schmerzlich das manchmal ist. Wie weh das tun mag. Und es gibt so unaussprechlich tiefes Leid, das Menschen, auch „kluge“ Menschen, die Gott kennen, durchschreiten müssen. Ich glaube fest daran, dass Gott nur seine Liebe schenken kann, dass er wandelt und befreit und so an unserem wahren Gesicht modelliert ein Leben lang.

Klug ist, wer Gott kennt, sagt der Prophet, wer Gott kennt als den, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.

Stundenlang haben wir uns in Klasse 12 und 13 die Köpfe über diese drei Begriffe heiß geredet: Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Das mache ich jetzt nicht. Vielmehr zitiere ich Jesus, der in unvergleichlicher Weise bildlich ausdrücken konnte, was Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit mit den Augen Gottes betrachtet bedeuten.

Barmherzigkeit

Da sieht Jesus den Levi am Zoll sitzen. Ihn, den stolzen Spross einer Priesterfamilie. Ihn, der alles, was seinen Landsleuten heilig ist, an die Ungläubigen verraten und verkauft hat. Levi, mit prallem Geldbeutel und armen Herzen. Ausgestoßen, verachtet von allen. Barmherzigkeit heißt - das Herz beim Armen haben.

Gerade dort, wo ein Mensch arm ist, ihn übermäßig bevorteilen.

Und Jesus bevorzugt Levi. Er "erwählt" ihn, ruft ihn weg vom Zoll, hinein in eine neue Gemeinschaft, ja mehr noch - er schenkt ihm ebenso wie dem ehrwürdigen Petrus einen neuen Namen: Matthäus. Matthias - das heißt: Gottesgabe. Du, Levi Matthäus, bist ein Gottesgeschenk. Und als einige Murren nur dieser eine Satz: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.

Recht

Da kommen die Schriftgelehrten zu Jesus und fragen ihn: "Was ist in deinen Augen das höchste Gebot?"

Und Jesus antwortet: "Das wisst ihr doch: Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit aller Kraft. Und ich sage euch: Ein anderes Gebot macht erst Ernst mit diesem: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Nur wer dem rechtlosesten Mitmenschen zu seinem recht verhilft, kann von sich behaupten, dass er Gott liebt.

Gerechtigkeit

Da fragen die Jünger Jesus: "Wie kann es sein, dass selbst solche wie der Matthäus in Gottes neuer Welt uns treuen Seelen gleichgestellt sind?“ Und Jesus erzählt ihnen das Gleichnis von dem Weinbergsbesitzer, der Arbeiter sucht. Als er auf dem Markt Tagelöhner findet, verspricht er ihnen einen Silbergroschen pro Tag. Allen, die später kommen und deshalb weniger arbeiten als die ersten, verspricht gar nichts. Am Abend aber schenkt er ihnen aus freien Stücken den gleichen Lohn.

Aus freien Stücken, weder weise begründet, noch stark erwirtschaftet, noch hochverdient, übt Gott auf Erden Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Er wandelt und befreit und ist darauf bedacht, dass wir zu unserem wahren Menschsein finden.

Dein wahres Gesicht, erlebst du dort, wo du darauf angewiesen bist, dass jemand dir sein Herz schenkt, dass er oder sie dich unverdient und übermäßig bevorzugt.

Dein Antlitz von Gott her, leuchtet dort  auf, wo jemand für dich eintritt, sich schützend vor dich stellt, dir zu deinem Recht verhilft.

Befreit strahlen kannst du, wenn dir jemand aus freien Stücken mehr gibt, als er oder sie müsste: mehr Zeit, mehr Freundlichkeit, mehr Dank, ja auch dir mehr ver-gibt, als er müsste ...

Der große Theologe und Mystiker Meister Eckhart drückt es so aus: "Gott erfüllt den Menschen bis zum Überfluss, dass er ausquillt und ausfließt aus übervoller Freude Gottes. Diese Freude ist euch nahe und ist in euch. Es ist keiner von euch so grobsinnig noch so klein an Fassungskraft noch so weit davon entfernt, dass er diese Freude nicht so, wie sie wahrheitsgemäß ist, in sich finden könnte, noch ehe er/sie heute diese Kirche verlässt."

Amen.