3. Sonntag nach Trinitatis / 24. Juni 2007 / Ökumenischer Gottesdienst zum Straßenfest
Schuldekan Wolfgang Raupp
im Zwiegespräch mit Gemeindereferentin Barbara Ulmer

  

Liebe Gemeinde,

Raupp: "Unser Leben sei ein Fest". Ich habe dieses Lied herausgesucht, weil ich gedacht habe, es passt zum Anlass unseres heutigen Gottesdienstes. Heute ist Straßenfest in Dietlingen. Dieser Gottesdienst soll ein Beitrag zum Straßenfest sein. Wenn es ans Feste feiern geht, da sind wir von der Kirche die Spezialisten. Überlegen Sie doch bloß einmal, wie viele Feste zwischen Advent und Trinitatis liegen. Selbst wenn man bloß die großen Festsonntage zählt, sind das 24 Feste. Wir Christen haben immer etwas zu feiern. Unser Leben ist ein Fest. Und heute am 3. Sonntag nach Trinitatis feiern wir auch noch das Straßenfest.

Ulmer: Das hört sich ja ganz nett an, was du da sagt. Ich habe nur eine Frage: Stimmt es auch? Wenn du jeden Tag feiern kannst, ist das ja ganz schön für dich. Aber es soll Leute geben, die zwischendrin auch wieder arbeiten müssen. Und manche müssen nicht nur arbeiten, sondern haben mit ziemlichen Problemen zu kämpfen. Da kann man doch nicht einfach sagen: "Unser Leben ist ein Fest!" Mal davon abgesehen: Alle zwei Jahre ein Straßenfest ist ja ganz schön. Aber jeden Tag - Ich glaube da würden die größten Fans des Straßenfestes das Grausen kriegen.

Raupp: Ich merke, du willst mich auf den Boden Tatsachen herunterholen. Fragen wir also ganz grundsätzlich: Was ist denn unser Leben? Mir fällt dazu der 119. Psalm ein. Man hat ihn als das "ABC des Lebens“ bezeichnet, weil seine Abschnitte nach dem hebräischen ABC geordnet sind. Darin wird überlegt, wie man leben soll, damit das Leben gut wird, damit es so etwas wie ein Fest wird. Das ist übrigens der längste Psalm in der Bibel. Was würdest schätzen, wie viele Verse der hat?

Ulmer: Der hat genau 176 Verse. Das habe ich neulich für ein Quiz gebraucht. Daher weiß ich das. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, kommt das Wort "Fest" darin gar nicht vor. Was wohl bedeutet, dass das Leben alles Mögliche ist, aber eben kein Fest.

Raupp: Immerhin heißt es: "Dennoch halte ich fest an deinen Geboten."

Ulmer: Willst du mich auf den Arm nehmen? Wenn du das so herumdrehst, dann findest du fast überall etwas zum Thema "Fest"?

Raupp: Na, ja zugegeben, das ist ein bisschen getrixt. Aber soviel muss man doch sagen: Zu diesem ABC des Lebens gehören auch die Schattenseiten. Auch davon spricht der Beter. Aber dennoch verliert er die Orientierung nicht, sondern hält fest an etwas, das ihm die Richtung weist. Das "Dennoch" bezieht sich übrigens auf die Erfahrung, dass er fast von der Erde ausgetilgt worden wäre. Der Mann muß also Schlimmes erlebt haben. Und trotzdem ist seine Lebensperspektive nicht zerbrochen. - Wäre das nicht ein Grund zum Feiern mitten im Alltag, der zugegebenermaßen oft auch düster ist.

Ulmer: Da fällt mir der Psalm 90 ein, wo es heißt: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon. - Viel Arbeit, viel davon ist vergeblich. Leben heißt nicht "Bleiben", Leben bedeutet immer auch Abschied, Abbruch und Aufbruch. Das scheint mir eine sehr realistische Perspektive zu sein.

Raupp: Darf ich noch einmal an dieses ABC des Lebens erinnern? Da heißt es in Vers 19 "Ich bin nur Gast auf Erden. Verbirg mir nicht deine Gebote!" Der Beter hier verdrängt die Endlichkeit des Lebens keineswegs. Aber er schaut auch auf die Gebote. Damit meint er nicht nur die 10 Gebote, sondern die Tora, das Wegweisende Gotteswort. Das ist für ihn wie so ein Navigationsgerät. Damit geht er nicht verloren, was auch immer kommen mag. Und wiederum meine ich, wenn einer in dieser Gewissheit lebt, dann ist das ein Grund zum Feiern - jeden Tag. Unser mühsames, bedrohtes, endliches Leben ist auch ein Fest.

Ulmer: Jetzt hast du ja immerhin schon ein bisschen etwas dazu gelernt: "Unser Leben ist auch ein Fest" - neben all der Mühe und mancher Trauer.

Raupp: Darüber, dass einer etwas lernt, würde sich der Dichter des 119 Psalms sicher freuen. Mit seinem Psalm in ABC-Form macht er uns zu ABC-Schützen, die das Leben zu buchstabieren lernen - eine Lektion nach der anderen. - Darf ich bei der Gelegenheit fragen, ob du vielleicht auch etwas gelernt hast?

Ulmer: Natürlich! Ich lerne immer dazu. Was denkst du denn? Heute habe ich gelernt, dass das Leben vielleicht doch ein Fest ist. Aber die Erklärung, mit dem Navigationsgerät ist mir zu einfach. Einmal ist ein Navi so ein bisschen ein Spielzeug für Männer. Die können sich darüber vielleicht ein bisschen freuen - solange bis sie den ersten großen Umweg mit dem Ding gefahren sind. Zum andern kommt mir die Vorstellung, dass wir immer wissen, wie es weitergeht, und was die richtige Richtung ist, zu einfach vor. Im Leben stehen wir eben oft vor Rätseln und dann wissen wir eben nicht, wie es weitergeht.

Raupp: Jetzt bin ich aber gespannt. Und warum ist das Leben dann ein Fest?

Ulmer: "Vielleicht ein Fest" habe ich gesagt. Ich bin da nämlich nicht so ganz sicher. Aber ich habe eine Ahnung. Es ist vielleicht ein Fest - nicht weil wir etwas in der Hand haben, das uns sicher macht. Nicht weil wir immer wüssten, warum uns dies und das passiert. Der eigentliche Grund liegt darin, dass Gott seine Hand nach uns ausstreckt und uns hält.

Raupp: Glücklich ist man, wenn man in den Arm genommen wird und das ist dann ein Fest? Ulmer: Ja, aber nur wenn man vom Richtigen in den Arm genommen wird. Wenn es der Falsche ist, wird man eher "auf den Arm genommen".

Raupp: Was hältst du von folgendem Bibelwort: "Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden."

Ulmer: Das hört sich gut an. Sag mal noch ein bisschen, wie du es verstehen willst in unserem Zusammenhang. Vorher gebe ich keine Zustimmung.

Raupp: Der Satz ist aus dem 1. Johannesbrief und Johannes vertritt hier die Auffassung, dass unsere Liebe und unser Leben nicht die Bedingung dafür ist, dass wir von Gott geliebt werden. Gott spart seine Liebe nicht auf, bis wir ihm unsere Liebe genügend bewiesen haben. Sondern er liebt uns - einfach so! Und das wäre dann ein Grund zum feiern. "Unser Leben sei ein Fest, weil wir von ihm immer geliebt werden und voraussetzungslos geliebt werden - an diesem Morgen und an jedem Tag." Könntest du damit einverstanden sein?

Ulmer: Im Prinzip ja. Aber es klingt mir noch zu einseitig. Es klingt so, als ob wir von Gott geliebt werden, voraussetzungslos versteht sich, und nun können wir feiern und damit hat sich´s.

Raupp: Und was fehlt dir noch?

Ulmer: Dass wir aufgefordert sind, diese Liebe zu erwidern - an diesem Morgen und an jedem Tag. Und dazu gehört, dass wir uns ihm zuwenden im Gottesdienst und dass wir uns unserem Nächsten zuwenden im Dienst der Nächstenliebe. Man kann sich nicht nur lieben lassen und feiern. Wer Liebe empfangen hat, wird die Liebe erwidern.

Raupp: Was hältst du von folgender Überlegung: Unser Leben ist ein Fest - genauer gesagt: "ein Straßenfest". Das hat 2 Gründe: Erstens: Dieses Fest schließt die Mühe des Alttags und auch die Probleme und die Trauer nicht aus. Es ist ein Fest mitten auf der Straße des Lebens sozusagen. Und zweitens: Unsere Freude über Gottes Liebe spielt sich nicht nur in der Kirche oder gar im Verborgenen ab, sondern dort, wo wir unseren Mitmenschen begegnen, eben auf der Straße. Darum: "Unser Leben ist ein Straßenfest!"

Ulmer: Na ja, weil heute Straßenfest ist, will ich dir das durchgehen lassen. Aber sonst wären da schon noch einige Anmerkung zu machen.

Amen.