Weihnachten / 24. Dezember 2006 / Christmette
Schuldekan Wolfgang Raupp
Als Einstieg - zum Nachdenken: Der Schriftstelle Novalis hat vor mehr als 200 Jahren gelebt. Er hat ein Buch geschrieben, das heißt einfach "Ewigkeit". Darin stehen folgende Sätze: Wo gehen wir denn hin? - Immer nach Hause. Dann wären wir heute Abend nach Hause gekommen.
In der Nacht auf den eigenen Herzschlag lauschen
Liebe Gemeinde,
für manche von Ihnen waren die letzten Tage und vielleicht auch dieser Abend sehr unruhig. Nun lade ich Sie ein, zur Ruhe zu kommen und den Herzschlag von Weihnachten zu spüren. Dieser späte Gottesdienst in der Christnacht wäre vielleicht der rechte Ort, um in die Heilige Nacht hineinzuhorchen und den Herzschlag von Weihnachten spüren.
Probieren Sie doch zuerst einmal, Ihren eigenen Pulsschlag zu spüren. Dann spüren Sie sich selbst und merken: Jetzt bin ich da. Ich lebe.
In der Nacht spürt man manchmal den eigenen Herzschlag. Dann kommen die Gedanken. In der Nacht kommen die Gefühle. In der Nacht kommen die Träume, manchmal auch Ängste und Sehnsüchte. In der Nacht schwinden die Ablenkungen. Das Wesentliche bleibt. Der süße Trubel ist jetzt abgeebbt. Die Geschenke sind geschenkt. Die Kinder schlafen. Jetzt feiern wir nicht mehr mit den Kleinen. Jetzt zeigt sich, was Weihnachten ist ohne Kinder, für uns selber. Darum lauschen wir in die dunkle Heilige Nacht, wie einer, der die Augen schließt, um besser zu hören.
Eingangsgebet
Aus der Unruhe und der Aufregung dieses Tages
kommen wir zu
dir, Gott.
Schönes haben wir erlebt
und wehmütig sind wir
geworden.
Gefeiert haben wir und geweint und gelacht.
Das
alles bringen wir mit und legen es ab bei dir.
Wir bitten dich:
Lass uns zur Ruhe kommen an der Krippe
und zu der Freude, die
von innen kommt.
Lass es Weihnachten werden.
In der Nacht auf den Herzschlag der Verheißung lauschen
Und mein Knecht David soll ihr König sein
und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen
Rechten und meine Gebote halten und danach tun. Und sie sollen wieder
in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem
eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen
darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst
sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der
soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und
mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Ich will
unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk
sein, damit auch die Heiden erfahren, daß ich der HERR bin, der Israel
heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
Hesekiel 37, Verse 24 – 28
Was hören wir? Ein großes, altes Prophetenwort. In ihm eine Antwort auf Träume, Ängste, Sehnsüchte. Je intensiver wir hinhören, umso deutlicher vernehmen wir den Herzschlag in den alten Worten. "Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein." Und dann das gleichmäßig warme Pochen: für immer; für immer; für immer. Frieden - für immer. Heimat - für immer. Ein Hirt und König - für immer. Gott unter den Menschen - für immer. Du kannst dich darauf verlassen. Es gilt. Dieses "ja" bleibt ein "ja".
Die, denen dieses Wort als Erstes galt, hatten erleben müssen, wie alle selbstverständliche Sicherheit zerbrochen war. Das Volk Israel in der Verbannung: Die Heimat verlassen müssen. Kriegserlebnisse in der Seele. Weit weg sein von Herkunft und vertrauter Kultur. Sich fern fühlen von Gott. Ohne einen, der sich verantwortlich für dich zeigt. Da hinein trifft das Wort des Propheten: So spricht der Herr: Ich will unter euch wohnen - für immer. Ich will euer Gott sein - für immer. Ihr sollt mein Volk sein - für immer. Trotz allem. Frieden, Heimat, ein Hirt und König - für immer.
Vielleicht wird uns erst, wenn wir dieses "für immer" hören, bewusst, wie sehr wir uns danach sehnen; wie oft wir es in unseren Erfahrungen vermissen. Gibt es das überhaupt in unserer Welt - ein solches "Für-immer"? Immer mehr Ehen, die für immer geschlossen werden, halten nur noch ein paar Jahre. Die Kinder werden einmal aus dem Haus gehen und ihr eigenes Leben führen. Manche haben die Orte verlassen, wo sie einmal zu Hause waren. In unserer Gesellschaft und in der Wirtschaft wird ständig gefordert, flexibel zu sein. Da verbieten sich tiefere Bindungen an einen bestimmten Ort oder an eine bestimmte Kollegenschaft. Auch Rückbindungen in Religion und Tradition lösen sich zusehends. Nicht nur Arbeitsverträge sind immer öfter befristet, sondern auch Beziehungen. In manchen Ländern treiben Krieg und Armut Millionen von Menschen zum Verlassen ihrer Heimat. Wenn wir uns das alles überlegen, ist uns die Erfahrung, im Exil zu leben eigentlich gar nicht so fremd.
Ein alter Song kommt mir in den Sinn: "Will you still love me tomorrow?" - "Wirst du mich auch morgen noch lieben?" Erinnern Sie sich noch? Das ist eigentlich eine bange Frage. Es kann nur eine Antwort geben. Sonst ist die Liebe nicht Liebe. Aber wer wagt es, so gefragt, diese Antwort zu geben? Wir haben schon so viel erlebt. Wir fürchten die Brüchigkeit unserer Liebe. Zu Recht. "Wirst du mich auch morgen noch lieben?" "Ja, auch morgen noch. Für immer!", hören wir als Antwort in der Heiligen Nacht.
Gebet
Herr, unser Gott, du willst zu uns kommen, damit wir Menschen nicht
vor der Vergänglichkeit aller Dinge erschrecken, sondern von dir für
immer gehalten werden.
Du willst zu uns kommen, damit wir nicht
ohne Hoffnung sind, sondern uns in deine Zukunft aufgenommen wissen.
Du willst zu uns kommen, damit wir nicht verloren gehen, sondern
in dir uns finden. Komm, Herr, und lass deine Herrschaft sichtbar
werden, dass die Heimatlosen ein Zuhause finden, dass die Verfolgten
Zuflucht und Hilfe finden und die Gefangenen Befreiung; dass die
Kriege enden, dass die Traurigen getröstet werden und die Hungrigen
gesättigt; dass die Schuldigen Vergebung erfahren und die Verletzten
Heilung; dass die Verzweifelten voll Zuversicht werden und die Kranken
genesen. - Komm, Herr!
Auf den Herzschlag der Weihnachtsbotschaft lauschen
Die Geburt Jesu Christi geschah aber so:
Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er
sie heimholte, daß sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef
aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen,
gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte,
siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef,
du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu
nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist.
Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben,
denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles
geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten
gesagt hat, der da spricht: »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein
und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«,
das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Matthäus 1, Verse 18 - 23
"Wirst du mich auch morgen noch lieben?" "Ja, auch morgen noch. Für immer!", hören wir als Antwort in der Heiligen Nacht. Und die Antwort verbindet sich mit dem Bild eines neugeborenen Kindes in ärmlichen Verhältnissen, von dem der Joseph nicht so recht wusste, wo es her kam und ob er bleiben oder gehen sollte. Die Antwort verbindet sich mit dem Bild eines Mannes, der predigend und heilend durchs Land zieht; eines Liebenden, der elend am Kreuz stirbt.
In der Heiligen Nacht sehen wir das Bild zum Wort. Gott hat sich festgelegt. Geboren. Als Mensch in der Geschichte anwesend. Das ist nicht mehr wegzukriegen. "Ich will unter ihnen wohnen ... für immer." Alle Bedingungen, alle Rückzugsmöglichkeiten, alle Vorbehalte lässt Gott in dieser Nacht los. Er geht mit der Geburt des Kindes Jesus ganz in diese Welt hinein. Er verbindet sich, wie es enger nicht zu denken ist, mit menschlichem Leben. Er teilt das Glück, die Not und den Tod.
Er verlässt den ihm als Wohnsitz zugedachten Himmel und macht die Erde zu seiner Wahlheimat. Damit wir einen Ort haben, an dem unsere Sehnsucht nach Heimat gestillt wird, unsere Sehnsucht nach einem bedingungslosen Ja - für immer. An der Krippe entdecken wir diesen Ort in dieser Nacht. Hier ist unsere Heimat. Das heißt: bei diesem Kind, bei diesem Mann, bei diesem Liebenden. "Gottes Sohn wird Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott", sagt Hildegard von Bingen - und so ähnlich auch Novalis - Sie erinnern sich.
Darum muss Jesus ja ein Spross Davids sein. Und die Krippe gehört nach Bethlehem in die Stadt Davids. Sonst würden wir wohl nicht begreifen, dass Jesus Gottes Antwort ist auf die uralte Sehnsucht und das Versprechen im Wort des Propheten. "Mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle." Die, die Jesus begegnet sind, haben entdeckt: Er ist es! Darum erzählen sie ihre Entdeckung in die Geschichten mit hinein. Damit wir in der neuen Geschichte, die in dieser Nacht beginnt, den alten Herzschlag hören.
Stoßgebete für die Nacht
Von weit draußen kommen wir. Zu den Heiden gehören wir, nicht zum Volk Israel. Von fern sind wir gekommen und ahnen, dass wir bei dir zu Hause sind, weil du zu uns gesagt hast: "Ja - für immer." Weil du dich auch uns für immer zugewandt hast, Schicken wir dir unsere Stoßgebete aus der Nacht.
Segne, die im Finstern sitzen in dieser Nacht. Gib Halt den Kranken mit ungünstiger Prognose. Tröste, die Gekränkten und die Verlassenen. Zeige den Schlaflosen Deine Sterne. Fülle die Brunnen wieder, aus denen Lebensmut quillt. Halte uns das Brot des Lebens bereit. Wir sind so bedürftig.
Was Du auch vorhast mit dieser Welt - mit Deiner Welt, bewahre und stärke die Liebenden gib ihnen die Kraft, sich immer zu versöhnen, dass sie einander wärmen wider den Tod.
Mache die Mütter stark und zärtlich, mache die Väter geduldig und treu, und den Kindern gib Ohren Worte der Hoffnung zu hören, und gib ihnen Augen, Dein Licht zu sehen.
Schenke den Alten Schlaf - leicht wie ein kleiner Vogel. Dein Ja-Wort sei die Wärme der Vogelmutter, dass ihrem Tod von innen Flügel und Schnabel wachsen, Gesang fürs andere Leben.