18. Sonntag nach Trinitatis / 15. Oktober 2006 / Abschiedsgottesdienst
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in schmutziger Kleidung und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz! und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin! oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, ist’s recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken? Hört zu, meine lieben Brüder (und Schwestern)! Hat Gott nicht die, die vor der Welt arm sind, zum Reichtum im Glauben und zur Erbschaft seines Reiches erwählt, das er denen zugesagt hat, die ihn lieben? Ihr aber habt den Armen die Ehre verweigert. Die Reichen, das sind doch die, die ihre Macht gegen euch durchsetzen, die euch vor Gerichte schleppen! Verlästern sie damit nicht den guten (Christus-) Namen, der über euch genannt ist? Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt, wie es in er Schrift steht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, dann tut ihr recht. Wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.
Jakobus 2, Verse 1 - 9

 

Liebe Gemeinde,

15 Jahre lang habe ich hier in der Andreaskirche das Wort der Bibel ausgelegt, aber über diesen Abschnitt aus dem Jakobusbrief habe ich in dieser Zeit kein einziges Mal gepredigt. Es wird also höchste Zeit!

Zwei Gedanken sind zu entfalten: Der Glaube an Christus befreit vom Ansehen der Person. Im Glauben an Christus empfangen wir Ansehen bei Gott.

Der Glaube an Christus befreit vom Ansehen der Person.

Müssen wir befreit werden? Jakobus ist wohl dieser Meinung, sonst hätte er nicht so pointiert Stellung bezogen. Offensichtlich gibt es auch in der Kirche ein falsches Ansehen der Person.

Stellt euch vor, heute wäre bei der Verabschiedung unser Bundespräsident Horst Köhler dabei. Die Blicke aller würde er auf sich ziehen und er säße nicht ganz hinten auf der Empore, sondern in der ersten Reihe hier vorne. Bestimmt wäre er besonders begrüßt worden. Und was wäre daran zu tadeln? Ist es nicht auch in der christlichen Gemeinde ein Gebot der Höflichkeit, einen besonderen Gast auch besonders zu begrüßen? Und wenn dieser besondere Gruß dem Bundespräsidenten gilt, ehren wir dann nicht auch zu recht das hohe und verantwortungsvolle Amt, das er inne hat?

Höflichkeit ist eine Form des wertschätzenden Umganges miteinander. Dagegen ist doch nichts einzuwenden. Problematisch wird es freilich, wenn einem Menschen in übertriebener Weise der Hof gemacht wird. Jakobus schildert eine Szene in bewusst plakativer Übertreibung. Da kommt ein Reicher in die Versammlung der Gemeinde, zu erkennen am Designer-Anzug. Sein funkelnder Ringfinger muss ein Vermögen gekostet haben. Die Hälse recken sich. Alle wollen ihn sehen. Ganz vorne darf er sitzen. Muss eben schnell ein anderer den Stuhl räumen. "Dass der sich bei uns blicken lässt! Nicht zu glauben. Er gibt sich die Ehre. Er gibt uns die Ehre!" Da schwillt die Brust des einfachen Mannes und der einfachen Frau. Und die Ältesten sonnen sich im fremden Glanz und sehen schon künftige Geldquellen sprudeln. Wenn die Kirchenkassen leerer werden, muss man die Wohlhabenden und Finanzstarken durch besondere Wertschätzung und Begünstigung bei der Stange halten.

Und dann kommt noch ein Armer in die Versammlung. Seine Kleider sind verschmutzt, vielleicht lässt sein Körpergeruch viele die Nase rümpfen. "Was will der denn hier?" Die Stirne werden gerunzelt. Nein, keiner sagt etwas, aber die Ablehnung ist fast mit den Händen zu greifen. "Stell dich dort drüben hin!", meint dann einer. Alle sitzen, er aber soll stehen. "Oder hock dich vor mich auf den Boden. Ich bleib jedenfalls sitzen." Dem armen Tropf wird die Höflichkeit verweigert. Er wird behandelt wie ein Mensch zweiter oder dritter Klasse! Unmöglich, dieses Verhalten, dieses Unterschiede machen. Hier die liebedienerische Bevorzugung, dort die Demütigung, die verweigerte Achtung. Wie gesagt: Jakobus konstruiert ein krasses Beispiel, aber er hätte es wohl nicht getan, wenn das nicht damals und wohl auch immer wieder in der Geschichte unserer Kirche ein Problem gewesen wäre: Reiche, Einflussreiche, Mächtige werden bevorzugt und die armen Tröpfe noch mehr gedrückt. Da steht die Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens auf dem Spiel.

Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person, so heißt es im Alten Testament und darum schärft Jakobus den Christen ein: Haltet euren Glauben an Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei vom Ansehen der Person. Irgendwie sind wir aber alle gefangen in dem, was unsere Augen sehen und was uns beeindruckt. "Der Mensch sieht, was vor Augen ist ..." Edle Klamotten, teurer Schmuck, Ps-starke Autos, Leben auf großem Fuß - das macht an, das fasziniert, das lässt schmerzlich den vermeintlichen Mangel spüren und weckt Gelüste nach den Herrlichkeiten einer Konsumgesellschaft, in der zählt, was sich einer leisten kann. Was für eine Versuchung auch für die christliche Gemeinde, durch entsprechende Beziehungen und Begünstigungen ebenfalls mithalten und mitreden und überall vorne dran sein zu können. Jakobus provoziert: "Ihr könnt nicht an unsern Herrn Jesus Christus - den Herrn der Herrlichkeit - glauben und gleichzeitig immerzu auf Menschen und ihre vermeintlichen Vorzüge und Herrlichkeiten schauen. Ansehen der Person und Christusglaube - das ist wie Feuer und Wasser. Nicht nur, weil Jesus "sozial" gesinnt war, weil sein Platz besonders an den Tischen der Armen, der Unterdrückten und der Verachteten war, sondern weil doch jeder von uns seine Doxa, seine Herrlichkeit, seinen letzten Wert und seine Würde allein von ihm, dem Herrn der Herrlichkeit, empfängt. In unserem übertriebenen Respekt vor den Erfolgsmenschen, den Hochgestellten, den Prominenten steckt nur allzu oft eine falsche Menschengläubigkeit, ein in die Irre gehender Glaube an die Leistungen und Vorzüge des Menschen.

Was an unserer Nächstenliebe wirklich dran ist, wird sich darum vor allem zeigen, wie wir mit dem Menschen umgehen, der uns gerade nicht fasziniert, der unseren Blick gerade nicht auf sich zieht und von dessen Beachtung wir keinen Gewinn haben.

In den zurückliegenden 15 Jahren habe ich 327 Kinder und Erwachsene getauft. 382 Jugendliche habe ich zur Konfirmation begleitet und dann in Gottes Namen gesegnet. 122 Paare habe ich getraut und 351 Menschen bestattet. So vielen Menschen bin ich begegnet bei Besuchen und Gesprächen und Sitzungen. Habe ich dabei nur gesehen was vor Augen ist? Hat mich ein falsches Ansehen der Person geleitet oder war ich frei, Euch in euren Stärken und Schwächen, in eurem Glück und in eurer innersten Not von Christus her zu sehen, mit den Augen seiner Liebe und euch anzunehmen, wie ER uns angenommen hat?

Gott wird es wissen. Nicht davon lebe ich, dass ich alles gut gemacht habe, sondern davon, dass ER es gut macht auch durch mein Versagen hindurch. Aber das sollt ihr wissen: so stelle ich mir Gemeinde vor: Christus in der Mitte und von ihm aus öffnet sich ein weiter Raum, ein Haus des Friedens, und darin gilt nicht das Ansehen der Person, sondern das Ansehen, das er uns schenkt und das uns hilft, einander zu achten und ehrlich miteinander umzugehen: die Reichen und die Armen, die Erfolgreichen und die Looser, die Wortgewaltigen und die Stillen im Lande.

Davon singt ein Lied, das wir mit unserer Partnergemeinde in Graustein kürzlich gesungen haben.

"Haus des Friedens" von Frieder Gutscher

Nun will ich zum zweiten Grundgedanken noch etwas sagen:

Im Glauben an Christus empfangen wir Ansehen bei Gott.

Wir leben vom An-Sehen vom ersten Augenblick an. Wir kommen auf die Welt und die Mutter nimmt uns in die Arme und sieht uns an. Und wenn es gut geht, dann liegt in diesem An-Sehen unser Glück, dann strahlen uns die Augen zu die Gewissheit: Du bist in dieser fremden Welt erwartet und erwünscht und geliebt. Und diese Gewissheit wird uns stärken und helfen, auch mit Niederlagen fertig zu werden, mit Situationen in unserem Leben, in denen wir uns selbst nicht mehr ansehen können. Wo einem Menschen dieses liebende Ansehen verweigert wird, wird er krank werden, in der Seele krank werden und dann vielleicht auch im Leib. Unvergessen ist mir diese Begebenheit im Kindergarten: ein Kind weinte immerzu und wollte unbedingt zur Mama. Und die Erzieherin erkennt diese Situation ganz tief und geht mit dem Kinder kurz nach Hause und das Kind sieht die Mutter und die Mutter sieht das Kind an mit den Augen der Liebe und dann ist alles wieder gut. Das Kind konnte zurück in den Kindergarten, aber eben: es brauchte diese kurze Vergewisserung: Ich bin angesehen. Augen der Liebe sehen mich.

Das steckt doch ganz tief in uns allen als Sehnsucht und Wunsch: dass da Augen sind, die uns liebend ansehen. Augen können ja auch morden. Wir wissen das. Aber sie können eben auch An-Sehen schenken.

Und nun kommt ein Reicher in die Versammlung der Christen, an Schmuck fehlt es ihm nicht. Sein Anzug kostete mehr als eine Verkäuferin im Monat verdient. Geld ist kein Problem. Seine Gegner hat er alle beiseite geräumt, notfalls mit kostspieligen Prozessen. Er könnte zufrieden sein. Leisten kann er sich alles, aber er sucht etwas, das er nicht kaufen kann: An-Sehen, liebendes Ansehen. Und ein Erbe, das man nicht in Zahlen auflisten kann und ein Reich, das weit über den Be-Reich seiner Möglichkeiten und Beziehungen hinausgeht. Mag sein, er sucht den Sinn seines Lebens und darin Gott, das Ansehen bei Gott und eine Liebe, die ihm nicht vorrechnet, was er schuldig geblieben ist an Treue und Menschlichkeit und Glaube. Wenn ein solcher Reicher in die christliche Gemeinde käme und fände nur schleimende Bewunderung - wie arm wäre er dran! Und wie arm ist eine Gemeinde, die nicht mehr zu bieten hat als falsches Ansehen der Person.

Oder eine Arme käme in die christliche Gemeinde, zu erkennen an den Textilien, Billigware aus Fernost. Leicht vergilbt. Sie selbst irgendwie heruntergekommen, vielleicht durch eigene Schuld. Vielleicht wurde ihr übel mitgespielt. Nun steht sie alleine da, muss für zwei Kinder sagen. Der Gang aufs Sozialamt ist jedes Mal eine Demütigung. Eine solche käme etwas verschüchtert in die Versammlung der christlichen Gemeinde. Vielleicht hofft sie auf Hilfe. Vielleicht auf eine kompetente Schuldnerberatung. Und sie findet nur Argwohn, abweisende Blicke: Was will denn die hier? Etwas schlampig gekleidet, vielleicht selber eine Schlampe. Und sie muss hinten stehen oder ganz zu Boden, damit sie niemand sieht. Mit so einer ist doch auch in der Gemeinde kein Staat zu machen. O Gott, wenn sie nicht mehr fände als prüfende und demütigende Blicke? Wie sehr würde Christus, der Herr der Herrlichkeit verraten, der doch selber arm geworden ist, der ganz unten war, verraten und verkauft, zur Strecke gebracht.

Wie arm sind wir als christliche Gemeinde, wenn wir den Menschen, die kommen, sie seien reich oder arm, nicht das Ansehen Christi schenken; die Liebe, die nicht vorrechnet, sondern annimmt. Wie oft wurde ich reingelegt, wenn ein Armer an der Tür klingelte. Aber lieber 10 mal reingelegt werden, als einmal das Ansehen Christi verweigern.

Das ist es doch, was uns als christliche Gemeinde reich macht: dass wir in unserer Mitte Christus haben, den Herrn der Herrlichkeit, der Sieger ist über Sünde, Tod und Teufel. Wie viele Gottesdienst und Andachten habe ich hier mit euch gefeiert. Und nicht darum ging es, dass der Pfarrer gut drauf war in seinen Predigten und in der Gestaltung der Feiern ganz originell, sondern darum, dass ihr Gottes Ansehen empfangen habt, wenn das Brot und der Wein beim Abendmahl ausgeteilt wurde: Für dich gegeben, für dich vergossen zur Vergebung der Sünden. Kleine Kinder habe ich getauft zum Zeichen dafür, dass Gottes rettende und verwandelnde Liebe nicht käuflich ist, auch nicht durch den Glauben und die Bekehrung.

Das Wort der Bibel haben wir hier gehört, das manchmal fremde und sperrige Wort, das die Welt, die wir uns zurecht legen, ganz schön in Frage zu stellen vermag. Und vielleicht habt ihr gemerkt, wie wichtig mir es war, dieses Wort zu Gehör zu bringen, damit wir uns nicht mit unseren eigenen Gedanken begnügen. Und wie tröstlich muss es sein, zu hören, dass Gott gerade die Armen im Blick, mit den Kleinen, Geringen und Unscheinbaren seinen Weg hat und sie brauchen kann für seine Sache, für sein Reich. Immer war es für mich etwas Bewegendes, zu sehen, wenn ein Armer oder eine Arme im Geist, wie Jesus sagt, die Seligkeit glauben lernte, von Gott angesehen zu werden.

Da bin ich euch nicht voraus. Da wollte ich mit euch glauben lernen - allem Augenschein zum Trotz, glauben, dass Christus Gottes Ansehen in Person ist.

Wie einladend, wie anziehend, wird eine christliche Gemeinde sein, die sich nicht selber feiert, sondern die mit menschlichen Stimmen und mit Pauken und Trompeten von dem singt und klingt, der uns in Christus voller Erbarmen an sieht und eben in diesem Glauben uns auch frei macht von allem falschen Ansehen der Person.