30. Oktober 2005 / Ökumenisches Abendgebet Katholische Kirche
Unterzeichnung der ökumenischen Vereinbarung
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Bleibe bei uns Herr!
Lukas 24, Vers 29

 

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Dass wir dieses ökumenische Abendgebet gemeinsam feiern und dass ich als Pfarrer der evangelischen Gemeinde die Predigt halte, versteht sich nicht von selbst. Vor 50 Jahren gab es noch kein bewusstes Miteinander der Konfessionen. Im Heimatgruss, dem Gemeindebrief der evangelischen Gemeinde, wurde der Bau und die Einweihung der katholischen Kirche mit keinem Wort erwähnt. Die Zeiten haben sich geändert. Und in diesen Zeiten haben wir Christen und Christinnen uns geändert. Gott sei Dank, dass er durch seinen Geist uns den Blick und das Herz füreinander geöffnet hat. Wenn wir heute die Vereinbarung für eine ökumenische Partnerschaft zwischen der Evangelischen Kirchengemeinde Keltern-Dietlingen und der Katholischen Pfarrgemeinde Heilige Familie Keltern unterzeichnen, soll dies zu aller erst Anlass sein, Gott zu danken für die geschwisterliche Gemeinschaft, die unter uns gewachsen ist.

Und bevor wir unterschreiben, was die Leitungsgremien miteinander vereinbart haben, hören wir gemeinsam auf das, was schon lange im Evangelium geschrieben ist. Wir hören auf das Evangelium nicht als Menschen, die diese Worte kennen und theologisch bestens Bescheid wissen, sondern als Suchende in der Hoffnung, dass auch unsere Herzen wieder neu brennen wie sie den Emmaus-Jüngern gebrannt haben, als der Herr mit ihnen redete.

Bleibe bei uns, Herr!

Diese Bitte legt uns das Evangelium in den Mund und ans Herz.

Bleibe bei uns, Herr!

So bitten Menschen, die nicht wissen, wie es weiter gehen wird, die unsicher geworden sind im Glauben, die sich fragen, ob es sich denn überhaupt noch lohnt, mit Christus zu rechnen.

Die beiden Jünger, die nach Emmaus wandern, kommen von Jerusalem her. Sie haben den Karfreitag ihres Lebens und Glaubens erlebt. Christus ist tot. Alle Hoffnungen, die sie auf ihn gesetzt hatten, sind nun begraben. Sie gehen nach Hause, in ihren Alltag. Was soll nun werden? Christus ist tot. Gott ist ihnen fremd geworden, schrecklich verborgen in allem, was geschehen ist.

Bleibe bei uns, Herr! Ihre Bitte ist eigentlich kein Gebet. Der fremde Wanderer ist ihnen ja unbekannt, aber sie ahnen und spüren, dass seine Gegenwart ihnen gut tut.

Vielleicht ist das eine überkonfessionelle Not, die viele Christen bedrängt. Wir gehen unsere Wege, unsere Alltagswege und Gott scheint weit weg zu sein von unserem gelebten Leben. Wir feiern Gottesdienste, wir hören die alten Worte und Lieder und Gesänge und manchmal beschleicht uns das Gefühl, in einem "fremden Film" zu sein. Und wie oft mag es geschehen, dass Bilder, die wir uns von Gott und Christus gemacht haben, zerbrechen angesichts von Leid und Katastrophen und Krisen, die uns die Selbstverständlichkeit des Glaubens rauben.

Bleibe bei uns, Herr!

Vielleicht gehört es zur Ehrlichkeit unseres Christseins heute, wenn wir nicht vollmundig bitten, sondern eher tastend, suchend bitten: Bleibe bei uns, Herr! Wir bitten aus der Not derer, die nicht genau wissen, wo es lang geht und was Gott noch vorhat mit uns selbst und mit seiner Kirche. In dieser Not sind wir den Menschen ganz nah, für die Gott schon lange keine Rolle mehr spielt und die dennoch suchen und fragen nach dem, was dem Leben Sinn gibt und Halt und Orientierung.

Bleibe bei uns, Herr!

Wir sprechen diese Bitte aus im Blick auf den Tisch, an dem Christus das Brot nimmt, darüber den Lobpreis betet und das geteilte Brot den Jüngern weitergibt. Es ist eine eucharistische Bitte, eine Abendmahlsbitte: Bleibe bei uns, Herr! Und was für ein Wunder wird es sein, wenn uns immer wieder neu mit den Emmaus-Jüngern die Augen aufgehen und wir Christus als den Lebendigen in unserer Mitte erkennen. Immer ist es ein Wunder, wenn uns so die Augen aufgehen und wir allem Augenschein zum Trotz, allem Unglauben zum Trotz Christus in unserer Mitte wissen. Was kein Wunder ist, sondern schlicht eine Notwendigkeit, ist dies, zu sehen, dass wir an getrennten Tischen das eine Christus-Brot brechen. Vielen Christen, zumal denen, die in konfessionsverbindenden Ehen und Familien leben, macht dies zu schaffen. Sie sehnen sich nach dem einen Tisch, an dem ER uns das Brot bricht und sich austeilt in seiner Liebe.

So sprechen wir die Bitte: Bleibe bei uns, Herr! in einer Situation, in der wir noch getrennte Kirchen sind. Aber vielleicht hilft uns diese Situation auch, noch leidenschaftlicher zu bitten: Bleibe bei uns, Herr! Und wir bitten nicht in konfessioneller Selbstgenügsamkeit, sondern in dem Wissen, dass der Tisch Jesu Christi an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kirchen und Traditionen steht, aber es ist der eine Tisch, an dem er sich austeilt. Und je ehrlicher wir bitten, desto mehr wird uns vielleicht auch geistlich klar werden: dass Jesus sich wirklich austeilt, dass er bei uns ist in unserer Mitte, wenn wir uns in seinem Namen versammeln und in seinem Namen das Brot brechen, das hängt nicht  nur an der Richtigkeit unserer Theologien. Wir können die Gegenwart Christi nicht mir unseren Worten und Formeln und Traditionen verbürgen und absichern. Ich sage etwas zugespitzt: Wir haben ihn nur in der demütigen Bitte: Bleibe bei uns, Herr! Vielleicht müssen wir wieder ganz demütig so beten und bitten lernen und allen Hochmut und alle Sicherheiten unsrer theologischen Gedankensysteme preisgeben! Es wird Gottes Gnade sein, wenn uns dann in solch demütigem Bitten auch die Tischgemeinschaft sichtbar zuteil wird. Christus ist frei. Er kann sich auch unseren liturgischen Ordnungen entziehen, aber er lässt sich nicht umsonst bitten: Bleibe bei uns, Herr! Die Emmaus-Jünger haben es erlebt.

Bleibe bei uns, Herr!

Wir sprechen diese Bitte auch im Hinblick auf die Rahmenvereinbarung für eine ökumenische Partnerschaft hier am Ort, die heute unterzeichnet wird. Dankbar haben wir aufgeschrieben, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Vertrauen und konkretem Miteinander gewachsen ist. Die Vereinbarung ist uns eine Selbstverpflichtung, auch weiterhin das miteinander zu tun, was wir gemeinsam tun können: Gottesdienst feiern an Pfingsten und an Silvester, auf Gottes Wort hören in Bibelwochen und Kinderbibeltagen wie in dieser Woche, einander informieren und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, und vieles mehr.

Manche sind vielleicht skeptisch und denken: wieder ein ökumenisches Papier mit vielen Worten und nichts dahinter. Es ist wahr: Papier ist geduldig und manches Papier gerät in Vergessenheit oder wandert ins Archiv. Zur Selbstverpflichtung gehört, dass wir dieser Vereinbarung Leben schulden und dass sich Männer und Frauen, die morgen Verantwortung tragen in unseren Leitungsgremien, davon inspirieren lassen. Es ist mein Wunsch, dass dabei nicht nur ökumenischer Aktivismus herauskommt, der sich in den jährlichen Statistiken gut sehen lässt. Die Bitte: Bleibe bei uns, Herr! wird vor solchem Aktivismus bewahren und vor dem Aberglauben, als wäre das schon gelebte Ökumene, dass es ein solches Papier gibt.

Das ist doch die Mitte alles ökumenischen Feierns und alles gemeinsamen Tuns, dass Christus da ist, bei uns ist in unseren Ängsten und in unserer Freude, dass er da ist mit seiner Versöhnung, mit seinem Leben, das uns lebendig macht. Dann werden wir aufbrechen, immer wieder aufbrechen, vielleicht mitten in der Nacht unseres Zweifels und unserer Ängstlichkeit wie die Jünger damals. Wenn Christus da ist als unsere Mitte, dann kommen wir in Bewegung.

Wunderbares geschieht, wenn wir so bitten: Bleibe bei uns, Herr! und wenn ER dann hineingeht, hineingeht in den Raum unseres Lebens und unserer Gemeinden, um bei uns zu bleiben.

Mit dieser Bitte im Herzen und auf den Lippen soll darum die Vereinbarung unterzeichnet werden.

Bleibe bei uns, Herr! Amen