21. Sonntag nach Trinitatis / 16. Oktober 2005
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Aufs Ganze gehen / Gottesdienste für Ehejubilare

Wenn junge Leute sich kirchlich trauen lassen, dann haben sie oft auch Interesse daran, ihren Traugottesdienst mitzugestalten. Sie suchen einen geeigneten Trauspruch aus. Manche schauen im Internet unter www.trausprueche.de nach  und werden fündig, nicht selten in einem kleinen Büchlein im Alten Testament namens Rut. Rut ist die Schwiegertochter der Noomi. Die beiden Frauen haben ihre Männer verloren. Als Noomi sich auf den Weg macht zurück nach Israel in ihre Heimat, da schließt sich die Rut ihr an und sagt: 

 

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.
Ruth 1, Verse 16 + 17

 

Die Hingabe und Treue, die in diesen Worten zum Ausdruck kommen, berühren uns und beeindrucken. Rut geht aufs Ganze. Sie könnte sich ja auch trennen von ihrer Schwiegermutter und sich neu verheiraten. Aber sie legt sich fest. Sie will ihr Leben und ihre ungewisse Zukunft ganz eng verknüpfen mit dem Lebensweg ihrer Schwiegermutter. Sie tut es aus freien Stücken. Niemand zwingt sie zu diesem Schritt. Was sie wagt und was sie sagt, spricht junge Menschen an, wenn sie sich trauen, mit einander einen Weg zu  gehen. Sie legen sich auf einander fest. Sie wagen es, das eigene Leben ganz eng zu verknüpfen mit dem Lebensgeschick des geliebten Menschen. Sie verzichten auf die Freiheit, heute diese Beziehung zu leben und morgen nach einer anderen Ausschau zu halten. Und sicher erleben sie diesen Verzicht gar nicht als Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten, sondern viel eher als Glück. Dass es später manchmal anders kommt, dass sie ausbrechen aus der ehelichen Bindung und sich ins Abenteuer neuer Beziehungen stürzen, mag seine Gründe haben, aber es widerspricht nicht dem Wagnis des Anfangs. Wer einen geliebten Menschen wirklich gewinnen will, muss aufs Ganze gehen. Ein griechisches Sprichwort sagt: "Wer zwei Hasen nachjagt, wird keinen fangen." Das gehört zur Ehe: dieses Wagnis, sich ganz und gar einem Menschen anzuvertrauen und mit ihm das Leben und Sterben teilen zu wollen.

Ehe ist also etwas anderes als sich lieb haben. Zur Ehe gehört ein Entschluss, ein Wollen, ein aufs Ganze gehen.

Dass es das gibt: wir können nur darüber staunen.

Diesem Wagnis voraus geht das Sich - finden. Wenn wir jetzt Zeit hätten, könnten die Eheleute einander erzählen, wie sie sich gefunden haben. Oft ist es ja weniger ein Suchen, sondern mehr ein Sich finden. Damals bei Noomi war es der Hunger, der die Menschen hat einander finden lassen. Noomi war mit ihrem Mann und den beiden Söhnen ins Ausland nach Moab gewandert auf der Suche nach Brot, nach Zukunft, nach einem Leben in Würde. Und so haben sie zusammengefunden: Noomi und Rut. Wie das Leben eben so spielt! Immer ist etwas Zufälliges in diesem Sich finden. Und manche lernen auch glauben und darauf vertrauen, dass Gott sie zusammengespielt, dass Gott sie hat einander zufallen lassen. Ein schöner Gedanke, weil darin deutlich wird, dass zwei Menschen, die sich lieben, sich nicht einfach haben und besitzen, sondern füreinander wie ein Geschenk sind. Das mag gut sein, wenn wir diesen Zauber des Anfangs, dieses Gefühl, mit dem geliebten Menschen auf wunderbare Weise beschenkt zu sein, nicht verlieren. Auch altgewordene Eheleute dürfen dieses Gefühl bewahren und in Gesten des Staunens und der Liebe wach halten.

Da saß ein altes Ehepaar im Zugabteil und ihm gegenüber ein junges Päärchen. Die jungen Leute hörten nicht auf, einander zu küssen und da stieß die Alte ihren Mann in die Seite und meinte: "Das könntest du auch mal wieder tun!" Er, sichtlich verwirrt, gab zu bedenken: "Aber Frau, ich kenn die doch gar nicht!"  Auch Eheleute, die in die Jahre kommen, tun gut daran, das Staunen darüber, sich gefunden zu haben, wach zu halten. Es bewahrt vor gleichgültigem Sich aneinander gewöhnen.

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da will ich auch bleiben.

Früher war die Lebenswelt der Menschen zugleich ihre Arbeitswelt. 24 Stunden waren Eheleute beieinander und umeinander. Da, wo geliebt und gefeiert und gegessen und geschlafen wurde, da wurde auch gearbeitet. Heute leben Eheleute und Familien oft in sehr verschiedenen Welten. Er arbeitet in Stuttgart, sie in Karlsruhe. Am Abend joggt er mit Freunden, sie fährt zum Schwimmen nach Waldbronn. Wenn sie sich spät am Abend sehen, kommen sie aus verschiedenen Berufs- und Freizeitwelten. Ein Stückweit sind sie einander fremd in den Erfahrungen, die sie mit bringen, in den Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, in den Beziehungen, in denen sie leben und agieren. Aus dem Fremdsein kann sich unmerklich Entfremdung entwickeln. Es wird wichtig sein, Zeit für einander auszusparen, Zeit, in der sie nicht nur notwendige Absprachen treffen, um den Alltag irgendwie zu organisieren. Es muss Zeit sein, sich wirklich auf einander einzulassen, Zeit, um Wesentliches zu besprechen und zu teilen, Zeit auch, um Dinge gemeinsam zu erleben und zu gestalten. Kinder können verbinden, sie können aber auch trennen. Unvergessen ist mir ein Ehepaar, das sich rund um die Uhr für die Kinder "aufgeopfert" und dabei vergessen hat, die eigene Beziehung zu pflegen. Es ist kein Egoismus, sondern Aufgabe und manchmal auch Arbeit, die eigene Beziehung zu pflegen und zu tun, was die Beziehung lebendig macht. Wenn diese Arbeit vernachlässigt wird, dann entstehen Defizite und aus der Entfremdung wächst das Fremdgehen. Oft ist das Fremdgehen ein Hinweis darauf, dass eine Beziehung nicht mehr wirklich gelebt und erlebt wird und dass Menschen einander nicht mehr geben, worin sie sich geliebt wissen.

Ein schön gedeckter Tisch, ein mit Liebe und Sorgfalt vorbereitetes Essen, das kann ich genießen und dann fühle ich mich von meiner Frau sehr geliebt. Und wenn meine Frau nicht fünf mal sagen muss, dass ihre Gartenschere defekt ist, sondern ich gleich zum Schraubenzieher greife und die Schere zu reparieren versuche, dann weiß sie sich geliebt. Liebe geht durch den Magen und manchmal durch die Gartenschere und bei anderen ist es wieder anders. Aber wichtig wird sein, dass wir es wahrnehmen, was dem anderen gut tut und worin er sich verstanden und geliebt weiß.

Dein Gott ist mein Gott, hat die Rut gesagt. Wir sagen es ihr nicht so leicht nach. Vor Jahren stellte eine junge Frau etwas erschrocken fest, dass sie nun schon einige Jahre verheiratet sei, aber mit ihrem Mann noch nie über Gott und das, was er glaube, gesprochen habe. Nicht selten wird Gott auch in der Ehe tabuisiert. Er kommt nicht zur Sprache. Vielleicht sind wir selber in Glaubensdingen sprachlos geworden. Oder wir sind einfach scheu. Sicher gibt es eine gesunde Scheu. Gott wird nicht dadurch lebendig, dass wir ständig von ihm reden, aber wenn wir ihn verschweigen, totschweigen, bleiben auch Sehnsüchte in uns ungestillt. Dafür bin ich sehr dankbar, dass ich mit meiner Frau Gott teilen kann. Morgens, bevor der Tag mit seinen Pflichten beginnt, lesen wir einen Psalm und vertrauen uns den Worten und Bildern an, die er wachruft. Und wir lesen einen Abschnitt aus der Bibel, spüren den Fragen nach, die dieses Wort in uns weckt. Manchmal packt uns der Anspruch, der uns da begegnet oder wir merken auf das, was gut tut, was tröstet in allem, was uns Angst macht und wir nicht ändern können. Was für ein Geschenk sind diese Minuten der Stille und des Gesprächs! Manchmal geht etwas mit durch den Tag und verbindet uns, auch wenn wir uns erst am Abend wieder sehen.

Gott verbindet. Da ist eine Wirklichkeit, die uns trägt, der wir uns anvertrauen dürfen. Vor ihm dürfen wir auch schwach sein, ratlos.

Das entlastet. Eheleute müssen vor einander nicht die Starken markieren. Der Glaube entlastet.

Er entlastet auch so: wir müssen für einander nicht alles sein. Wir brauchen einander nicht eine letzte Erfüllung geben. Der Glaube entlastet: wir müssen nicht Gott spielen. Wir müssen einander nicht überfordern mit unmenschlichen Erwartungen. Gott entlastet.

Und er hilft, mit dem Leben fertig zu werden. Im Glauben liegt viel Lebenshilfe. In der Bibel finden wir Lebensweisheit, die dem Leben dient. Da lesen wir den Ratschlag, über dem Zorn die Sonne nicht untergehen zu lassen. Es ist gut, nicht im Zorn auseinander zu gehen oder mit Wut im Bauch schlafen zu gehen. Das frisst an er Seele und raubt uns den Schlaf. Und wenn wir schuldig geworden sind aneinander, dann ist es doch nicht hilfreich, diese Schuld klein zu reden oder sie nur beim anderen zu suchen. Wie befreiend, wie klärend mag es sein, wenn zwei Menschen vor Gott den Mut haben, auch das Hässliche in ihrer Beziehung anzuschauen und wenn sie um Verzeihung bitten. Der Glaube entlastet auch in dieser Hinsicht. Wir leben davon, dass Gott uns um Christi willen vergibt und immer wieder neue Anfänge ermöglicht. Dieser Glaube macht uns Mut, auch einander zu vergeben und neue Anfänge zu schenken.

Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Wovon die Rut spricht, davon zu sprechen fällt uns oft schwer, auch in der Ehe. Der Tod ist ein Tabu wie Gott auch. Aber das Schweigen darüber belastet und nicht selten ist der überlebende Partner unsicher in seinen Entscheidungen, weil das Sterben nie Thema war. Alles Glück, auch alles Eheglück auf dieser Erde ist immer Glück auf Zeit. Im Tod ist alles begrenzt. Wir haben einander nur auf Zeit. Darum ist auch jeder Tag kostbar, weil einmalig. Einen Menschen lieben, heißt mit ihm alt werden wollen. Das Glück und das Leid der Jahre teilen, am Ende den Tod, das Loslassen. Die Hoffnung lehrt uns loslassen, ohne Angst zu verlieren. Das Gute soll bleiben in dankbarer Erinnerung, das Gute, das Gott im Miteinander der Tage geschenkt hat und die Hoffnung soll bleiben, die Hoffnung, die nicht einfach loslässt, sondern den geliebten Menschen Gott anvertraut, seinem Erbarmen, seiner Zukunft. Da werden uns dann die Augen noch einmal aufgehen, wenn wir uns in seiner Zukunft wieder finden, in seinem Licht, in dem sich alles klärt, auch was verworren und rätselhaft blieb in unseren Erdentagen.

So hat uns das Wort der Rut angeleitet, über unsere Beziehung als Eheleute nachzudenken:

Staunen, über das Sich - finden in der Liebe und im Zutrauen zueinander, Staunen, über den Entschluss, miteinander das Leben zu teilen, Zeit haben und sich Zeit nehmen für einander, um die Beziehung zu pflegen, den Glauben teilen und das Entlastende spüren, die Grenze des Todes nicht verschweigen und doch Hoffnung haben füreinander in Gottes Zukunft hinein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.