26. Juni 2005 / Ökumenischer Gottesdienst Straßenfest
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Als Jesus am Ufer des Sees Gennesaret stand, drängte sich das Volk um ihn und wollte das Wort Gottes hören. Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Jesus stieg in das Boot, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus. Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus! Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen. Das taten sie, und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten. Deshalb winkten sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen, und gemeinsam füllten sie beide Boote bis zum Rand, so dass sie fast untergingen. Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder. Denn er und alle seine Begleiter waren erstaunt und erschrocken, weil sie so viele Fische gefangen hatten; ebenso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten. Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.
Lukas 5, Verse 1 - 11

 

Vom Mitläufer zum Nachfolger / Jesus sucht Nachfolger und keine Mitläufer

Irgendwo habe ich diesen Satz einmal gelesen. Was er aussagt, stimmt. Jesus sucht Nachfolger, Menschen, die sich wie Petrus und die anderen Fischer ganz bewusst auf ihn einlassen, in der Verbindung mit ihm das Leben lernen, das andere Leben, das Reich Gottes. Jesus sucht Nachfolger und keine Mitläufer! Der Satz ist richtig, aber auch ein wenig radikal und eben darin unbarmherzig mit allen Mitläufern. Es ist schon wahr: Mitläufer sind verführbar. Sie laufen heute diesen Parolen hinterher und morgen jenen. Sie denken zu wenig. Sie prüfen nicht kritisch genug. Sie lassen sich zu sehr von Stimmungen treiben, von dem, was gerade in der Luft liegt oder alle machen. Wer will schon Mitläufer sein? Keiner. Und doch sind wir immer auch ein wenig Mitläufer. Wer hat schon den großen souveränen Überblick und Durchblick über den Lauf der Zeit, über das, was politisch und geistig sich gerade tut unter der Oberfläche des Sichtbaren?! Und sind nicht viele auch in Sachen Kirche und Religion Mitläufer von der Wiege bis zur Bahre: getauft, gefirmt oder konfirmiert, kirchlich getraut, kirchlich bestattet? Aber ist das nicht auch anerkennenswert, wenn ein Mensch so mitläuft mit langem Atem und dabei bleibt und auch durch sein Opfer und seine Steuern mithilft, dass Kirche Kirche sein kann?

Den Satz: "Jesus sucht Nachfolger und keine Mitläufer" möchte ich darum verändern: Jesus sucht Nachfolger und Mitläufer; denn in den Mitläufern stecken auch potentielle Nachfolger. An Petrus können wir das heute ein wenig studieren.

Beiläufiger Anfang

Eher beiläufig, mitläufig fängt seine Geschichte mit Jesus an. Da drängt sich eine große Menschenmenge am Ufer des Sees Gennesaret, um Jesus zu hören. Sozusagen ein spontaner Kirchentag oder Katholikentag am Seeufer. Da drängeln sich ja auch die Massen um gefragte Redner. Jesus bittet den Fischer Petrus, ihn in seinem Boot etwas vom Ufer weg zu rudern, damit er besser zur Menge sprechen kann. Petrus ist nicht unhöflich. Aber eben so gerät er unversehens in Hörweite dieses Predigers. Vielleicht bekommt er nicht jedes Wort mit. Er ist ja müde vom nächtlichen Fischfang und dazu noch enttäuscht, weil die Netze leer geblieben sind. Aber eben: nun sitzt er, der Mitläufer und Mithörer wider willen, mit Jesus in einem Boot. Die Szene hat etwas Humorvolles. Und doch entdecken wir, dass die Geschichte unseres Glaubens mitunter eher beiläufig und mitläufig beginnt. Ich erinnere mich an einen jungen Familienvater in meiner früheren Gemeinde. Er besuchte mit seiner Frau den Ehepaarkreis und hin und wieder fand das Treffen auch in seinem Wohnzimmer statt. Sie war die treibende Kraft und interessiert an Fragen des Glaubens. Er hielt sich da eher zurück. Aber so wurde auch für ihn das eigene Wohnzimmer beiläufig und mitläufig zum Boot, in dem Jesus saß und wir miteinander das Wort Gottes traktierten. Ich kann nur staunen, was daraus geworden ist: heute ist er engagierter Kirchenältester! Immer ist es aufregend, wenn wir in den Hörbereich des Wortes Gottes kommen. Manchmal arbeitet dieses Wort an unserer Seele, noch ehe wir es merken.

Persönlich angesprochen

Und dann wird da plötzlich aus dem Wort Gottes eine sehr persönliche Anrede. Als Jesus seine Seepredigt beendet hat, wendet er sich Petrus zu: "Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!" Das Wort wird dem Petrus zur Zumutung! Was im wohl in diesem Augenblick durch den Kopf ging? Vielleicht dies:

"Nicht einmal ein Wort des Dankes sagt dieser Rabbi, stattdessen dieser verrückte Befehl, am hellen Mittag auf den See hinaus zu fahren. Ein sinnloses Unterfangen! Guter Rabbi, dein Wort in Ehren. Predigen ist dein Handwerk. Darauf verstehst du dich, aber von den Gesetzen und Regeln des Fischerhandwerks hast du keine Ahnung. Und außerdem- ich bin müde. Wozu soll ich gerade jetzt das Aussichtslose tun?" Petrus sagt von alle dem nichts, aber in seiner Antwort wird doch deutlich, wie er sich und seiner Fischerkollegen fühlen: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen." So sprechen Menschen, die unter der Erfolglosigkeit ihres Tuns und Mühens leiden. So sprechen Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Familie durchbringen sollen. So sprechen Menschen, die sich ein Leben lang abgerackert haben und feststellen müssen, dass fast nichts dabei herausgekommen ist. Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen! Woher sollen sie die Kraft nehmen, um auf den großen Fang ihres Lebens zu hoffen? Alles wehrt sich wohl in dem Petrus, sich auf dieses Wort einzulassen. Aber er kann nicht widerstehen. Er wird von dieser Anrede überwunden. Er tut, wozu sein Fischerverstand klipp und klar Nein sagt. "Aber auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen." Er wagt es, sich auf das Wort dieses Meisters einzulassen. Und vielleicht ist es das erste Mal in seinem Leben, dass er die großen Worte Gottes, die er von Kindesbeinen an kennt, nicht einfach groß und erhaben sein lässt, sondern konfrontiert mit der Mühseligkeit seines Alltags, mit den tausend Enttäuschungen und Niederlagen, die so tief verletzen und allen Mut rauben wollen. Petrus begegnet in Jesus dem Wort Gottes so, dass er sich davon berühren und packen lässt. Auf dieses Wort hin will er es wagen: das Gute erhoffen allen vergeblichen Nächten und Enttäuschungen zum Trotz.

Wenn uns das Wort Gottes, das Jesus sagt, so herausfordert, dass auch die innersten Nöte und Sorgen herauskommen und wir es dennoch wagen und darauf vertrauen, dass Gott doch Gutes mit uns vorhat, dann haben wir längst aufgehört, nur Mitläufer zu sein. Dann sind wir ganz persönlich betroffen: nicht nur vom Leben, wie es uns so mitspielt, sondern von dem Gott, der mit seinem Guten, seinem Segen ganz überraschend ins Spiel kommt.

Unverdiente Güte

Prall gefüllte Netze: so erlebt der Fischer Petrus Segen. Sein Boot droht zu sinken unter der Segensfülle. Und Petrus sinkt auf die Knie vor Jesus. Die Fußballer rutschen auf den Knien über den Rasen, wenn ein Tor gefallen ist und sie ihrer Freude Ausdruck geben. Warum geht Petrus auf die Knie? Will er seinem Staunen und seiner Freude Ausdruck geben? Was er sagt, überrascht uns: "Meister", nein, jetzt sagt er "Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder." Anders gesagt: Er hat begriffen, wer der ist, der da mit im Boot ist. Dieser Rabbi redet nicht nur von Gott, in ihm ist Gott da. Und dieses Da-sein Gottes ist lauter unverdiente Güte. Wenn uns das ganz tief bewegt und erregt, dass wir Sünder sind, Menschen, die gott-los ihren Lebensalltag zubringen und doch leben von seiner unverdienten Güte, dann haben wir längst aufgehört, gedankenlose Mitläufer zu sein.

Ein neuer

Beruf Petrus hält die Nähe Jesu nicht aus, aber Jesus lässt sich nicht wegschicken, auch von einem Sünder nicht. Im Gegenteil: Gerade ihn kann und will er brauchen als Werkzeug für seine Sache. Früher hat Petrus Fische gefangen, jetzt soll er mithelfen, Menschen zu fangen. Wir stoßen uns jetzt nicht an der Formulierung. Jesus nimmt einfach die Sprache der Fischer auf, damit Petrus versteht, was er meint. Dem Computerfachmann würde er vielleicht sagen: Du sollst mithelfen, dass viele Menschen online sind mit Gott. Dem Fußballprofi würde er sagen: Du wirst mithelfen, dass viele Menschen mitspielen im großen Spiel des Glaubens und gewinnen lernen.

Also das ist das Erstaunliche: Jesus braucht für seine Sache nicht heilige Überflieger, sondern auch und gerade Menschen, die darüber erschrecken, wie gott los sie eigentlich leben. Wenn uns das aufgeht im Glauben, dann laufen wir nicht nur mit, sondern dann folgen wir Christus, in dem wir uns für ihn einsetzen: als Eltern, die mit ihren Kindern vielleicht mit zitternden Händen beten; als Gemeindeglied, das andere zum Gottesdienst einlädt; als wacher Zeitgenosse, der sich stark macht für die Geringsten unter den Geschwistern Jesu.

Alles zurücklassen, was hindert

So werden aus Mitläufern Nachfolger. Von Petrus und den anderen Fischern heißt es: "Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgte ihm nach." Die Boote haben sie zurück gelassen, ihren Beruf, ihr Einkommen, ihre Familien: so stark war das Neue, das mit Jesus Christus in ihr Leben gekommen war. Sie wollten und mussten ihm auch leiblich nahe sein. Wir gehen Jesus nicht mehr leiblich hinterher auf den Straßen Palästinas und am Ufer des Sees Gennesaret. Wir folgen ihm, wenn wir seine Stimme im Stimmengewirr des Alltags erkennen und uns seinem Wort und seiner Führung anvertrauen. Immer lassen wir dann auch hinter uns zurück, was uns hindern möchte, ihm wirklich zu vertrauen: vielleicht ist es Bequemlichkeit oder ein falscher Friede, den wir mit dem Verkehrten gemacht haben.

Es ist doch etwas seltsam Großes, wenn aus Mitläufern Nachfolger werden. Und so wenig Petrus im Letzten schon wusste, worauf er sich einlässt, als er Jesus nachfolgte, so wenig wissen wir im Vorhinein, was Gott noch mit uns vorhat. Etwas Abenteuerliches liegt wohl immer darin, wenn wir nicht nur mitlaufen, sondern bewusst den Weg des Glaubens gehen.

Jesus sucht also nicht nur Nachfolger, sondern auch Mitläufer, denn in den Mitläufern stecken potentielle Nachfolger und Nachfolgerinnen. Gott sei Dank!