Himmelfahrt / 5. Mai 2005
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Wo ist Jesus? Er wurde aufgenommen in den Himmel, so hörten wir im Evangelium. Jesus ist hineingenommen in die unsichtbare Welt Gottes.

Aber wo ist Gott? Wo wohnt Gott?

Kindliche Fragen! Menschliche Fragen. Wir weichen ihnen nicht aus. Wir entdecken Antworten im Predigtwort.

Salomo, Sohn und Nachfolger des Königs David hat in Jerusalem einen Tempel bauen lassen. Im ersten Buch der Könige wird ausführlich davon erzählt. Am Tag der Einweihung des Tempels spricht Salomo ein eindrückliches Gebet. Wir hören heute als Predigtwort einige Verse aus diesem Gebet:

 

Dann trat Salomo vor den Augen der ganzen Gemeinde an den Altar des Herrn, erhob seine Hände zum Himmel und betete: "Herr, du Gott Israels! Weder im Himmel noch auf der Erde gibt es einen Gott wie dich. Du stehst zu deinem Bund und erweist deine Güte und Liebe allen, die dir mit ungeteiltem Herzen dienen. So hast du an meinem Vater David gehandelt. Der heutige Tag ist Zeuge dafür, dass du dein Versprechen gehalten hast. Gott Israels, lass doch in Erfüllung gehen, was du meinem Vater David versprochen hast! Aber bist du nicht viel zu erhaben, um bei uns Menschen zu wohnen? Ist doch selbst der ganze weite Himmel zu klein für dich, geschweige denn dieser Tempel, den ich gebaut habe. Herr, mein Gott! Achte dennoch auf mein demütiges Gebet und höre auf die Bitte die ich heute vor dich bringe."
1. Könige 8, Verse 22 - 24 + 26 - 28

 

Wo wohnt Gott? Wohnt er in einem Haus, aus Steinen gebaut? Ist unsere Andreaskirche sein Zuhause?

Salomo hat Gott einen Tempel gebaut. Gewiss war das für Salomo auch ein Prestigeobjekt, ein Stück Religionspolitik mit Steinen so wie im Mittelalter die Städte um die höchsten Kirchtürme gewetteifert haben. Aber der biblische Erzähler lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich in dem gelungenen Tempelbau auch eine Zusage erfüllt, die Gott dem König David gegeben hatte. "Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage", so betet Salomo. Gott will dieses Haus aus Steinen, diesen Ort, an dem sein Name angerufen und ausgerufen wird. In diesem Bau hat er seine Hand im Spiel.

Wohnt Gott im Tempel?

"Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?" Mitten im Beten blitzt dieser Gedanke auf, ein kritischer, aufgeklärter Gedanke. Gott ist größer als die Häuser, die wir ihm bauen. Er lässt sich nicht einsperren in die Gehäuse, die wir bauen mit Steinen und Gedanken. Seine Majestät, sein Gottsein sprengt alles Menschliche. Gott braucht kein Haus aus Steinen, aber er will es für uns. Wir brauchen dieses Haus aus Stein, wo wir zusammenkommen können, wir brauchen diesen Ort, an dem wir uns treffen, damit unser Glaube sich nicht verläuft, damit Gott sich nicht verflüchtigt in Gedanken und Ideen. Die Andreaskirche steht für eine andere Wirklichkeit, für die Wirklichkeit Gottes, für die Wirklichkeit Jesu Christi. Wenn im Ostblock neue Stadtteile hochgezogen wurden, dann hatten die kommunistischen Machthaber großes Interesse daran, dass keine Kirche gebaut wurde, dass kein steinernes Zeugnis da ist, das Raum ausspart für die Wirklichkeit Gottes. Sie wussten als Atheisten etwas von der Symbolkraft des Gotteshauses. In unserem Dorf liegt die Kirche noch leicht erhöht über den Dächern, aber in den großen Städten werden die Kirchen erdrückt von den gläsernen Kathedralen des Kapitals. Sind es nicht unheimliche architektonische Zeugnisse dafür, was unsere Zeit anzubeten bereit ist? Die Kapitalismusdebatte hat doch einen Nerv berührt. Wir brauchen den Tempel, die Kirche, das Haus aus Steinen, damit wir nicht  Götzen anbeten und Dinge dieser Welt aufladen mit göttlicher Potenz.

Wo wohnt Gott?

Israel hat zweimal in seiner Geschichte erfahren müssen, dass der Tempel zerstört wurde. Aber in der Bitterkeit dieser Erfahrung  lag auch eine heilsame Einsicht. Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem das Haus zerstört wird, in dem er verehrt wird. Das ist religionsgeschichtlich gesehen eine einmalige Erfahrung, die Israel hat machen dürfen. Mit der Zerstörung der Tempel sind in der Antike immer auch die Götter gestorben und ihr Kult hörte als lebendige Praxis auf. Anders in Israel. Der Glaube an Gott überlebte die Katastrophen. Israel hielt sich nicht an die Steine und Trümmer, sondern an das Wort Gottes, an seine Verheißungen, an seine Weisungen, an seinen Bund. Im Gebet des Salomo klingt das auch auf: "Herr, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast ... Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast."

Im Tempelbau erkennt Salomo, dass Gott zu seinen Zusagen steht. Aber da steht noch mehr aus. So nimmt Salomo Gott beim Wort. Gott hat doch verheißen, dass die Davidsdynastie bleiben wird.

Gott bei seinem Wort nehmen. Sich an seine Verheißungen und Weisungen halten- das ist die Weise, wie wir ihm nahe sein können. Wo wohnt Gott? Er wohnt in seinem Wort. Er west in seinen Verheißungen. So treibt Gott sein Wesen durch die Zeiten hindurch. Wenn wir seinem Wort Raum geben, dann geben wir ihm Raum, unser Denken und unser Wollen zu prägen, unserem Leben eine Ausrichtung zu geben auf IHN hin.

Die Bitte des Salomo im Ohr, können wir nur staunen: Gott hat Wort gehalten, hat dem David durch die Zeiten immer wieder einen Spross erweckt, zuletzt den Spross aller Sprosse, den Sohn Davids schlechthin: Jesus, den Christus. Und wir glauben, dass Gott in Jesus nicht nur alle seine Verheißungen und Zusagen erfüllt hat, sondern dass in ihm das Wort Fleisch geworden ist und Hand und Fuß bekommen hat. Jesus ist das Sichtbare des unsichtbaren Gottes. Was für ein Geheimnis. In ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig, wie der Kolosserbrief einmal staunend ausspricht. Und in ihm schließt er einen neuen Bund mit allen, die ihm vertrauen, einen Bund des Erbarmens, das weit über Israel hinausgeht.

Wo wohnt Gott? Wir entdecken im Gebet des Salomo noch eine Antwort.

Am Ende bittet er: "Wende dich aber zum Gebet deines Knechtes und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechtes heute vor dir." Alles Beten geht ja ins Leere, wenn Gott nicht da ist, wenn er sich  uns nicht zuwendet. Salomo weiß um diese Gefährdung. Er weiß darum, dass Gott sich auch abwenden könnte, dass er taub sein könnte für unser Rufen und Bitten und Loben. Wir können Gott mit unserem Gebet nicht herbeizwingen. Wir haben ihn nicht im Griff, auch nicht im Begriff unsrer frommen und gestammelten Worte. Und es gibt auch Zeiten, das sind wir zu müde um zu beten. Da ist unsere Seele gefangen in sich selber, gefangen in den Ängsten und Zweifeln. Bonhoeffer hat solche Zeiten im Gefängnis erlebt. Und wir können uns auch daran gewöhnen, dass unser Gebet gänzlich verstummt, weil alle Worte zu verhallen scheinen in einem gottlosen Weltenraum. Und doch wohnt dem Gebet ein Geheimnis inne. Nelly Sachs hat einmal dieses tiefe Wort gesagt: "Die Klagemauer- im Blitz eines Gebetes stürzt sie zusammen. Gott ist ein Gebet weit von uns entfernt." Wo wohnt Gott? Wo ist Christus? Ein Gebet weit nur entfernt. Wir haben das Versprechen Jesu im Ohr und im Herzen: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen ( zum Gebet), da bin ich mitten unter ihnen."

Wo wohnt Gott?

Ein letzte Antwort singen wir mit einem Lied Gerhard Tersteegens einander zu. Die letzte Strophe seines Liedes "Gott ist gegenwärtig" legt uns die Bitte ans Herz: "Herr, komm in mir wohnen, lass mein Geist auf Erden dir ein Heiligtum noch werden." So betet Salomo noch nicht, aber die neutestamentliche Gemeinde kann so bitten, weil sie mit dem Geist Gottes eine überraschende Erfahrung gemacht hat. Ihr seid der Tempel Gottes, spricht Paulus den Christen zu. Ich bin Gott ein Heiligtum, weiß Tersteegen. Das Haus, das Salomo einweiht, das sind wir, das bin ich. Gott will in mir wohnen. Christus in mir, sagt Paulus immer wieder. Den dieses Haus und der Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen können- der will in seiner Geistesgegenwart in mir Wohnung nehmen. Was für ein Geheimnis. Der große und unfassbare Gott, den wir in Jesus fassen und begreifen lernen als den treuen und barmherzigen Gott, der will in mir wohnen. Nicht zur Untermiete. Ich bin ja sein eigen. Ich darf bei ihm und in ihm wohnen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.