Karfreitag / 25. März 2005
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den andern links. Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dann warfen sie das Los und verteilten seine Kleider unter sich. Die Leute standen dabei und schauten zu; auch die führenden Männer des Volkes verlachten ihn und sagten: Anderen hat er geholfen, nun soll er sich selbst helfen, wenn er der erwählte Messias Gottes ist. Auch die Soldaten verspotteten ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann hilf dir selbst! Über ihm war eine Tafel angebracht, auf ihr stand: Das ist der König der Juden. Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Es war etwa um die sechste Stunde, als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach. Sie dauerte bis zur neunten Stunde. Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei, und Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus.
Als der Hauptmann sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: Das war wirklich ein gerechter Mensch. Und alle die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, schlugen sich an die Brust und gingen betroffen weg.
Lukas 23, Verse 33 - 48

 

dDrei Kreuze sehen wir auf Golgatha. Jesus hängt in der Mitte und zur Rechten und zur Linken hängen die beiden, die Lukas - wohl in Anspielung auf das Lied vom Gottesknecht bei Jesaja 53 - die Übeltäter nennt. Sie haben Übles getan, sie haben gemordet. Was für ein erschütterndes Bild: Jesus hängt zwischen Mördern. So weit ist der herunter gekommen, der gesagt hat: "Ich bin gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist."

Jesus hängt dort, wo - menschlich betrachtet - nichts mehr zu retten ist.

Aber das Unerwartete geschieht: der eine Mitgekreuzigte findet Rettung im Angesicht des Todes, sozusagen in letzter Minute. Nur Lukas zeichnet uns dieses Bild und so wird noch am Kreuz deutlich, was er von diesem Jesus immer wieder zu berichten weiß: Menschen finden durch ihn das Rettende, finden hinein in die verlorene Gemeinschaft mit Gott, dem Vater.

Hören wir hinein, was die drei im Angesicht des Todes einander zusagen haben. Immer sind es doch besondere Worte, die ein Mensch im Angesicht des Todes sagt oder auch nicht sagt.

Der eine der Übeltäter beteiligt sich an dem lästernden Spott der Soldaten und der Oberen, gemeint sind wohl Mitglieder des Hohen Rates. "Bist du der Christus, so hilf dir selbst und uns!" Wahrscheinlich ist dieser Verbrecher Jude gewesen, sonst würde er nicht vom Messias, vom Christus, reden. Sein Spott soll den Mitgekreuzigten verhöhnen. Der Spott ist doch eine seltsame Art, sich dem Eindruck des Heiligen zu entziehen. Der Spott ist immer ein Zeichen der Feigheit. Wenn man nichts ernst nehmen will und sich wehrt gegen das, was einem "unter die Haut" gehen könnte, dann macht man eine schnoddrige Bemerkung, die ein Witz sein soll. "Die Spötter sind die Elendesten von allen Kreaturen", hat Matthias Claudius geschrieben. Lukas sagt nun von diesem Übeltäter, dass er Christus gelästert hat. Wenn sich der Spott am Heiligen vergreift, dann wird das Heilige gelästert.

Was ist das Lästerliche? Er stellt sich den Messias vor als einen, der sich selbst und ihm helfen kann und soll. Wir fragen: was soll lästerlich sein an dieser Vorstellung? Liegt darin nicht auch eine Art Zutrauen? Kann Jesus nicht helfen? Er ist doch der Helfer in Person und in Gottes Namen. Das Lästerliche liegt nicht in einem möglichen Zutrauen. Das Lästerliche liegt darin, dass er IHN brauchen will für seine Zwecke: noch einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen, weitermachen auf dem üblen Weg. Vielleicht war er ein Zelot, ein Widerstandskämpfer, der in Gottes Namen mit jedem ermordeten Römer das Reich Gottes herbeizwingen wollte. Wir erleben das ja heute im gewaltbereiten Islamismus mit wie das ist, wenn in Gottes Namen geköpft und gebombt wird. Der Übeltäter kommt auch im frommen Gewand daher. Und was sein Leben und Verhalten prägte, das bestimmt auch sein Denken in den letzten Stunden seines Lebens. Das Heilige benutzen für kleine und große Zwecke, und immer sind es sehr menschliche Zwecke und Pläne: das ist das Lästerliche.

Das ist doch etwas Unheimliches, wenn ein Mensch sich in dieser Weise treu bleibt bis zum letzten Atemzug und sich noch in den lästernden Spott flüchtet, um sich gegen eine tiefere Selbsterkenntnis und gegen die ihn bedrängende Wahrheit zu wehren. Kann es sein, dass ein Mensch lieber in seiner Selbstlüge stirbt, als zur Wahrheit durchzudringen?

Der andere Schächer - wie wir früher sagten - wagt es, den Lästerer zurecht zuweisen. Schämst du dich nicht? Ist dir die Furcht Gottes so fremd geworden, dass du in dieser Stunde die Untaten deines Lebens noch vermehrst durch den Frevel der Lästerung? Und er fügt ein Wort hinzu, über das wir uns nur wundern können. Er beklagt sich nicht über die schreiende Ungerechtigkeit des Weltenlaufs und sucht bei anderen die Schuld. Er tut das, was jedem Menschen doch entsetzlich schwer fällt: er bekennt sich schuldig. "Wir empfangen, was unsere Taten verdienen. "Wir haben diesen Tod verdient. Also kein Aufbäumen, keine Rebellion, sondern ein ehrliches Ja zu seinen Übeltaten und zu diesem Tod.

Was für eine Freiheit liegt in diesen Worten: das eigene Leben sehen wie es wirklich war. Sich nichts mehr vormachen. Sich nicht noch im letzten Augenblick herauswinden und selbst betrügen. Was für ein Mut und was für eine Freiheit gehört dazu: zum eigenen Leben stehen, Ja sagen können auch zur eigenen Schuld. Vielleicht ist dies wirklich im Letzten nur möglich im Angesicht dieses Einen, der gekommen ist zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Wir werden wohl niemals erfahren, woran diesem Mann aufgegangen ist, dass der andere, der neben ihm am Kreuz hängt, kein Verbrecher ist, kein Unrecht getan hat; ja dass er vielmehr ein König ist, der König aller Könige und dass er, dieser Sterbende, kommen wird als König seines Reiches. Er wendet sich an den sterbenden Jesus mit dieser ganz rätselhaften Bitte: "Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!" Oder, wie es auch heißen kann: "Gedenke an mich, wenn du in deinem Reich kommst." Nichts weiter! Nicht: Hilf mir!, sondern nur die ganz demütige Bitte: "Denke an mich!"

Für den Juden liegt in dieser Bitte ganz viel. Wenn Gott unsrer gedenkt, dann sind wir nicht vergessen, dann sind wir nicht verloren, sondern aufgehoben. In Gottes Gedenken liegt Leben und Geborgenheit und Zukunft. Ist es das, was diesem Übeltäter an Jesus aufgegangen ist:  dass da Gott im Spiel ist, eine Macht des Gedenkens, in der wir aufbewahrt sind, auch wenn wir unser Leben verspielt haben und abtreten und unsere Augen schließen müssen?

Vielleicht fehlen uns die Worte, wenn es mit uns zum Letzten geht, aber diese Bitte darf uns über die Lippen  und aus dem Herzen kommen: "Jesus, gedenke an mich."

Das muss Gnade sein, wenn wir uns so im Angesicht des Todes und wissend um unser Leben loslassen und Christus anvertrauen können.

Das Erstaunlichste und ganz und gar Rätselhafteste ist die Antwort, die dieser Schächer vom Kreuz in der Mitte her empfängt: "Heute wirst du mit mir im Paradies sein!" Das Paradies, was ist das für ein Ort, an dem der sterbende Christus sein wird und an den er den Mörder mitnehmen will?  Es ist nicht irgendein Ort auf der Landkarte oder ein Gebilde unserer Phantasie. Es ist das Leben in der unverhüllten Gegenwart Gottes, ein Leben, in dem wir uns nicht länger vor Gottes Anruf verstecken müssen, ein Leben, in dem Gott in seinem Erbarmen auch die Bruchstücke unseres Lebens zu einem sinnvollen Ganzen fügt.

"Heute!" sagt Jesus. Und auch dieses Heute meint nicht eine Zeitangabe. Jenseits des Todes gibt es weder Raum noch Zeit wie in unserem irdischen Leben; kein Irgendwo und Irgendwann, darum auch kein Früher oder Später, kein schmerzliches Warten. "Heute" -  das ist, wo Jesus ist. "Euch ist heute der Heiland, der Retter, geboren", wird den Hirten am Anfang des Lukasevangeliums gesagt. Und in seiner Heimatstadt beschließt Jesus seine erste öffentliche Predigt über ein Wort aus dem Propheten Jesaja mit dem Bekenntnis: "Heute ist dieses Wort erfüllt vor euren Ohren!" Und dem Zachäus, der auf dem Baum nach ihm Ausschau hält, sagt er: "Heute muss ich in deinem Hause einkehren!"  Wenn Menschen Jesus begegnen, geraten sie in das Heute Gottes, in den Raum seiner suchenden Liebe.

"Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!" Mit mir: das ist der Ausdruck einer geheimnisvollen und unbegreiflichen Verbindung, die der Tod nicht auflösen kann.

Wir maßen uns nicht an, dieses Rätselwort im Letzten zu verstehen. Aber es ist nicht rätselhafter als das ganze Geschehen des Karfreitags. Und wir ahnen, dass in diesem Wort, das uns nur der Evangelist Lukas überliefert, das ganze Evangelium, die frohe Botschaft von der Vergebung der Sünde wie in einem Brennpunkt zusammengefasst ist.

Der gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist, er ist und bleibt der Heiland auch und gerade am Kreuz.

Drei Kreuze stehen auf Golgatha. Jesus Christus hängt in der Mitte.

Wo und wie auch immer wir einmal "hängen" werden im Leben oder wenn unser Leben zu Ende geht: das wird unsere Gnade sein, dass ER da ist, dass wir vor ihm zu unserem Leben, auch zu unserer Schuld stehen dürfen, dass wir uns ihm anvertrauen dürfen und dass wir in seinem Gedenken aufbewahrt sind für sein kommenden Reich.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Sterben in Christus Jesus, unserem Herrn.