Jubilate / 25. April 1999 / Konfirmation
Pfarrer Klaus Zimmermann

  

Liebe Konfirmanden und Konfirmandinnen!

Am Anfang der Konfirmandenzeit habt Ihr Bäume gemalt, ein jeder seinen eigenen. Sie hängen dort hinten am Haupteingang, etwas verschämt, in der Ecke. Kunstwerke sind es ja keine geworden. Dafür ist aber jeder Baum "in echt" ein Kunstwerk, und Ihr seid es auch. Ein jeder und eine jede ein Original, unverwechselbar, einmalig. Ich sage es dankbar, auch ein wenig stolz auf unseren Schöpfer: Gott liebt die Originale, nicht die Kopien.

Was ist gewachsen in der Konfirmandenzeit? Ihr seid gewachsen. Erwachsener seid Ihr geworden. Die Gäste von weither, die Euch selten sehen, werden´s gleich merken. Und Beziehungen sind gewachsen untereinander; ein bißchen Gemeinschaft, nicht so arg toll, aber immerhin. Die Freizeit hat uns gut getan. Vertrauen ist gewachsen, zuletzt sogar noch ein wenig mehr Lust am gemeinsamen Singen. Seid Ihr auch in Eurem Christsein gewachsen?

Nun feiern wir Eure Konfirmation. Was ist zu sagen? Eine von Euch sagte, ich könnte doch noch einmal das Bild vom Baum aufnehmen. Warum eigentlich nicht? Seht Ihr hier das kleine Apfelbäumchen? Es wird uns heute die Predigt halten. Von den Wurzeln wird die Rede sein, von den Blättern und von den Früchten.

Das Bäumchen hat seinen Platz noch nicht gefunden. Am nächsten Mittwoch wollen wir´s setzen. Dann kann es sich verwurzeln, tief und fest. Ein Baum ohne Wurzeln ist undenkbar. Auch ein Mensch, der nicht verwurzelt ist, ist auf Dauer nicht lebensfähig. In den Wurzeln fließen Kräfte. Die lassen uns wachsen, machen uns lebendig. Eure Familie ist Euch zum Wurzelboden geworden. Da habt Ihr Euch eingewurzelt, unbewußt, einfach so. Da darf ein Mensch Liebe erfahren, ein Zuhause, verläßliche Beziehungen. Es ist nicht selbstverständlich, daß es geschieht. Vielleicht könnt Ihr für diese Erfahrung dankbar sein. Nichts läßt so sehr wachsen, nichts gibt so viel Halt wie die Erfahrung: ich bin geliebt, angenommen, auf jeden Fall. Nun habt Ihr in diesem Jahr noch eine andere Familie kennengelernt: die Familie der Christen hier in Dietlingen. Ich sage Familie! Freunde sucht man sich, eine Familie hat man. Brüder und Schwestern suchen wir uns nicht aus, auch im Glauben nicht. Ihr habt mit uns Gottesdienst gefeiert, auf das Wort der Bibel gehört, vielleicht auch mit dem Herzen. Das Brot des Lebens habt Ihr empfangen, den Wein Christi gekostet. Vielleicht habt Ihr Euch hin und wieder gefragt, warum Menschen ganz freiwillig hier zusammenkommen. Ich glaube, sie wollen sich hier einwurzeln, verwurzeln. Sie suchen Kraft, die sie aufbaut, Kraft, die ihr Denken und Handeln fruchtbar macht, auch für andere. Sie suchen etwas, das kein Mensch sich selber geben kann. Die Bibel nennt diese Kraft Segen. Und Jeremia - wir haben sein Wort vorhin gehört - weiß, wer der ist, der gesegnet leben kann: "Gesegnet ist der Mensch, der sich auf den HERRN verläßt und dessen Zuversicht der HERR ist." Sich auf Gott verlassen, ihm zutrauen, daß auf ihn Verlaß ist, was immer auch geschieht - so schlagen Menschen Wurzeln "IN GOTT". Gott ist der beste Wurzelboden. Jeremia nennt ihn "HERR". Dahinter verbirgt sich der hebräische Gottesname. "Ich bin, der ich bin!" Ich bin für euch da! "Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!" Jesus hat es gesagt. Gott hat es durch ihn uns versprochen. Einem jeden ganz persönlich in der Taufe. Christsein heißt darum: immer wieder Wurzeln schlagen in dieser Zusage: "Ich bin bei euch ." Wenn ich fröhlich bin und vor Glück platze, wenn Traurigkeit mich lähmt und ich nicht weiß, warum; wenn Schuld mich drückt und ich sie auch nicht durch Beschönigen loskriegen kann, das gilt: "Ich bin da! Ich gebe dich nicht auf!" Eine Frau habe ich kürzlich gesprochen. Schwere Wochen und Monate liegen hinter ihr. Sie wollte nicht mehr. Jetzt sind die Tage wieder heller geworden. Und sie sagte mir, daß in all dem Schweren ihr Glaube tiefer gegangen ist. Das mag sein: Wenn's stürmt und windet, dringen die Wurzeln tiefer. Gott sei Dank.

Nun seht euch die kleinen Zweige an. Ein paar Blätter sind schon da. Das Bäumchen lebt. Der Saft fließt. Die grünen Blätter sind Zeichen seiner Wachstumsfreude. Habt Ihr auch grüne Blätter, Zeichen eurer Lust am Wachsen? Ich habe euch letzten Mittwoch gebeten, einmal aufzuschreiben, was bei euch noch wachsen soll. Jemand schrieb: "Ich bin und finde alles perfekt." Ein anderer: "Ich will so bleiben wie ich bin". Was spricht daraus? Eine gehörige Portion Selbstbewußtsein, so etwas wie Lust und Freude an sich selbst. Die ist wichtig für eine gesunde Entwicklung. In einem Psalm der Bibel heißt es: "Ich danke dir, Gott, daß ich wunderbar gemacht bin." Da ist sie wieder, diese Freude und das Staunen über das eigene Leben. Wieviele haben sich diese Lust am eigenen Leben und Weg madig machen lassen, vielleicht durch ständiges Schielen auf andere. "Ich will bleiben wie ich bin". Gott gönnt uns diese Freude am eigenen unverwechselbaren Profil. Aber da ist vielleicht auch eine heimliche Angst, sich ändern zu müssen, sich zu wandeln, sich noch entwickeln, wachsen zu müssen. Aber das gehört doch auch zum Lebendigsein: Offen bleiben für das, was das wirkliche Leben noch aus mir macht. Manchmal neigen Menschen dazu, sich zu sehr festzulegen: auf Meinungen über Gott und die Welt, auf innere Bilder, die sie davon haben. Darüber können wir starr werden, verholzen. Die Älteren fragen sich vielleicht: Gibt es diese Blätter, diese Zeichen, daß ich noch lebendig bin, daß die Seele noch wachsen kann oder ist innen alles erstorben, hart geworden, ausgetrocknet? Manchmal stürzen sich Menschen dann in äußere Abenteuer, in neue Beziehungen. Aber das ist oft keine innere Lebendigkeit, sondern panischer Aktivismus, der spürt, daß das Leben doch mehr sein muß.

Das Bäumchen weiß es: alle Lebendigkeit, alle Kraft, die fließt, zielt hin auf das Blühen und die werdende Frucht. Was soll werden? Ihr habt es geschrieben: Erfolg wollt Ihr haben, einen tollen Beruf finden, keine Geldsorgen sollen euch plagen. Einige wünschen sich mehr Selbstvertrauen, auch den Mut zur eigenen Meinung zu stehen. Das wäre eine schöne Frucht oder? Wieder andere hoffen, daß bei ihnen noch Geduld wächst. Ein weiser Wunsch! Gegen den Machbarkeitswahn ist Geduld eine hilfreich Arznei: Die Erfahrung, daß Dinge Zeit brauchen, Zeit zum Wachsen und Reifen. Jemand wünscht sich auch die Fähigkeit, Nein sagen zu können, wenn alle JA dröhnen. Nein sagen - wer kann das schon? Da braucht es Rückrat und eine tiefe Verwurzelung in dem wissen, was gut und böse ist, lebensdienlich und tödlich. Dies Bäumlein wird Goldparmänen tragen, nächstes Jahr, in zwei Jahren. Ich hoffe, Ihr seid dann dabei, wenn ich ernte. Welche Früchte wachsen in Eurem Leben? Frucht ist, was schmeckt, was anderen schmeckt und Leben nährt und Freude bringt. Manchmal sind wir für einander ungenießbar. In der Bibel heißt es einmal: Die Frucht des Geistes ist lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. In jedem Menschen ist so viel Sehnsucht zu blühen. Wenn Gottes Geist über uns kommt, werden wir bestäubt. Dann wächst Frucht, die schmeckt und an der Gott seine Freude hat.

Am Mittwoch nach der Konfirmation haben wir das Apfelbäumchen im Pfarrgarten gepflanzt.

Vielleicht schauen die Neukonfirmierten immerwieder mal nach "ihrem" Bäumchen!