5. Sonntag nach Trinitatis / 11. Juli 1993
Pfarrer Thilo W. J. von Janson

  

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.
Matthäus 7, Verse 24 - 27

 

Liebe Gemeinde,

ich habe diesen Predigttext mitgenommen, als ich in Urlaub gefahren bin und habe mir gedacht, ich nehme ihn einmal so mit wie ein eigenes Ohr oder ein eigenes Auge und lasse das, was ich während des Urlaubs erfahre und wahrnehme, hindurchgehen durch diesen Text. Ich will Ihnen nicht verschweigen, wie es mir gegangen ist. Es ist mir etwas zwiespältig gegangen, denn ich dachte: wohin gehöre ich denn nun? Da ist von jemandem die Rede, dem gelingt es, sein Haus auf einen guten Grund zu bauen, und dann kommen die Unwetter und die Katastrophen, und das Haus bleibt stehen. Und ich bin mir nicht so sicher, ob mein Haus nicht manchmal mehr in dem Bereich steht, wo der Sand ist. Und mit diesem etwas zwiespältigen Gefühl habe ich mich dann auch aufgemacht. Es sind zunächst einmal Häuser, von denen ich Ihnen erzählen möchte, denn diese Häuser sind ja auch so etwas wie ein Bild für uns Menschen und für unser Leben, das wir entwerfen, wie wir es gestalten oder wie es uns einfach wird. Ich möchte Ihnen also von drei Häusern erzählen, Häuser die zugleich auch etwas durchlässig sind für das Bild unseres Lebens.

Ich beginne mit meinem ersten Haus. Ich war mit einem Wohnmobil unterwegs, hatte also in meinem Auto Bett, Küche, alles mit dabei. Und mit diesem Haus habe ich mich auf die Reise gemacht. Es war eine ganz wunderbare Sache. Ich konnte anhalten, wo ich wollte. Wenn ich müde war, konnte ich mich hinlegen, zog das Bett raus und konnte schlafen. Ich hatte eine Küche dabei und konnte mir etwas kochen. Als ich an das Meer gefahren bin, habe ich die Seitentür aufgemacht, mich an den Tisch gesetzt und rausgesehen, und ich konnte das Meer riechen. Ich konnte meinen Gedanken nachhängen, und ich konnte den Möwen folgen. Wenn ich wollte, brach ich auf und fuhr weiter. Eine wunderbare Spontanität, Freiheit und Ungebundenheit.

Es muß also gar nicht immer ein fester Ort sein. Und es gibt ja immer mehr Menschen, die gar nicht an einem festen Ort auf dieser Erde leben. Ich frage mich, ob es so etwas auch in Ihrem Leben gibt. Daß wir deutlich spüren, wieviel Regeln, Festlegungen und Geprägtes es gibt, und daß wir damit keineswegs immer einverstanden sind, sondern es manchmal mühsam und grollend nehmen. Und daß wir es wunderbar finden, wenn wir einmal aus diesen Normen, aus dem was uns auch als Last aufliegen kann, heraustreten können und in aller Freiheit und in aller Unmittelbarkeit die Dinge so nehmen können, wie sie uns frisch und neu und unverbraucht begegnen. Ist ein solches Leben ein Leben, das auf Sand gebaut ist? Oder ist es auf einem festen Grund? Ich möchte die Frage nicht für Sie beantworten, ich erzähle Ihnen von meinem nächsten Haus.

Das nächste Haus ist ein altes Farmhaus, da habe ich mich länger aufgehalten, ich kenne es schon seit vielen Jahrzehnten. Es liegt in einer der schönsten Gegenden, die ich kenne. Es ist ungefähr 250 Jahre alt und hat eine ganz eigene Atmosphäre. Das liegt daran, daß meine Freundin dort groß geworden ist, und in diesem Haus auch die alte Zeit noch verkörpert ist und lebt. Aber auch in dem Haus selber sind die Menschen, die früher hier gelebt und gewirkt haben, sehr lebendig. Schon dadurch, daß ihre Bilder an den Wänden hängen, neben vielen anderen Bildern. Da ist noch das alte Gerät von diesen Menschen, die alten Kupfertöpfe und die großen Töpfe, die Möbel, die offene Feuerstelle. Alles ist noch so, wie sie in der letzten Zeit hier gelebt haben. Jede Generation hat etwas an diesem Haus verbessert, etwas hinzugefügt, etwas verändert. Und so kommt es mir vor: ein Haus wie ein Baum, in dem immer neue Ringe ein Wachsen ermöglichen. Wenn man das Ganze anschaut, wie es gewachsen ist, durch seine Zeit und in seine Zeit hinein, dann macht es den Eindruck, als gehöre es so zusammen, und als sei es gerade so etwas sehr Schönes.

Und doch ist es mir da etwas merkwürdig gegangen. Die Menschen, die manchmal dort leben, wohnen dort nicht mehr und arbeiten dort nicht mehr. Das Haus wird eigentlich nicht mehr von innen heraus bewohnt. Wenn die Menschen dort hinkommen, dann ist es viel Arbeit, in dem Garten die Bäume zurechtzuschneiden. Aber es ist nicht mehr jenes Leben, von dem das Haus sonst noch erzählt. Es wird geliebt, dieses Haus, geschätzt, man begegnet ihm mit Achtung. Aber das richtige Leben ist woanders. Es ist ein wunderschöner Ort, aber es ist ein Ort, an dem die Erinnerung herrscht, die alte Zeit.

Ich möchte uns wieder fragen: Gibt es das auch bei uns, daß sich etwas in unserem Leben so wandelt? Daß etwas, was uns einmal sehr wichtig war, vielleicht sogar das Zentrum unseres Lebens gebildet hat, auf einmal nur noch eine Erinnerung ist? Das Leben zieht weiter, und zurück bleibt ein Stück Erinnerung. Wie mag das wiegen, wenn es uns so geht? Denn es geht ja nicht immer so freundlich ab wie bei diesem Haus. Ich denke mir, manch einer würde um sein Haus, um im Bild zu bleiben, eine Hecke ziehen, die hoch wird und hinter die niemand schauen kann. Ein anderer würde vielleicht einige Räume in dem Haus gar nicht mehr betreten, und vielleicht ist es auch so, daß das Schicksal dahinführt, daß das Haus in völlig fremde Hände kommt und fremde Menschen darin leben. Oder Teile werden abgebrochen. Wie ist es, wenn es einem Menschen so ergeht? Ist das Haus dann auf Sand gebaut oder auf einen festen Grund?

Das letzte Haus, von dem ich Ihnen erzählen möchte. Ich habe es gefunden an der Atlantikküste auf der französischen Seite, an dem Ort oder in der Gegend, wo im 2. Weltkrieg sehr viel gekämpft wurde. Ich bin den Strand entlanggegangen und sah schon von ferne die großen, grauen, ungeheuren Bunker, die dort wie Dinosauriere, nur eben versteinert und bedrohlich, am Strand und in den Dünen hocken. Es hatte etwas sehr Fremdes und sehr Beängstigendes, sie dort so vorzufinden. Es war ohne Verbindung, ohne Zusammenhang. Sie sind so groß und so schwer, daß man sie auch garnicht mehr beseitigen kann. Und sie sind buchstäblich in den Sand gebaut, das sieht man ihnen an vielen Stellen an, weil sie nämlich beginnen, auseinanderzubrechen. Weil der Wind und das Wetter nach und nach anfangen, an ihnen zu arbeiten und sie zu zerbröseln.

Es ist ein eigentümlicher Kontrast. Der Wille, etwas Großes und Starkes zu bauen, ist übermächtig und überdeutlich zu erkennen. Und doch sehen wir heute nichts anderes darin als ein Mahnmal, das erschreckend ist: erschreckend, weil es uns zeigt, welche Blindheit und Gefangenschaft und manchmal wohl auch, welche Besessenheit von Menschen ausgehen kann.

Kann auch darin ein Stück unserer eigenen Erfahrung sich spiegeln? Daß wir mit Macht etwas wollten, daß wir das auch hinstellten, durchsetzten und im Rückblick auf einmal sehen, wie blind und gar rücksichtslos wir waren und nun vielleicht leben müssen mit den Spuren, die sich dort finden? Soweit von meinen Häusern, die ich unterwegs gesehen habe.

Jeder von uns, und ich glaube, es gibt keinen Menschen, der das nicht tut, baut sein eigenes Lebenshaus. Wir werden alle in einer bestimmten Familie groß, wir haben alle unsere bestimmten Gaben. Wir wachsen in eine ganz bestimmte Zeit hinein, in der es Aufgaben gibt, besondere Möglichkeiten. Wir merken alle, wo unsere Lücken sind und die Lücken anderer, mit denen wir zusammenleben. Und so entfalten wir unter solchen Bedingungen unser Leben. Wir bauen unser Haus. Das ist keine Frage der Überlegung, das geschieht, auch wenn wir nicht wollen; wir bauen trotzdem. Und so entstehen sehr verschiedene Lebenshäuser, und manches bildet sich auch in den Häusern ab, in denen wir wohnen.

Aber ich glaube, unsere Lebenshäuser sind noch einmal etwas Eigenes. Da gibt es die ungewöhnlichsten Konstruktionen. Großzügige, kleine, verwinkelte, schiefe, alles mögliche. Und wenn Sie einmal das, was von Jesus berichtet wird, so sehen, daß er Menschen mit ganz verschiedenen Häusern begegnet, und daß er diesen Menschen auf eine ganz besondere Art begegnet, dann kommen wir vielleicht auch ein Stückchen weiter an das heran, was er mit diesem Gleichnis sagen will. Denn das Äußere des Hauses sagt noch überhaupt nichts über seine Standfestigkeit. Und vielleicht sind wir da an der Stelle ganz besonders gefährdet, daß wir uns so leicht blenden lassen von etwas und denken: Das ist aber etwas ganz besonders Gutes. Oder denken: Das ist ja unmöglich. Und die Erfahrung zeigt ja nun, daß, wenn es darauf ankommt, das Große plötzlich sehr klein wird und im Kleinen eine so große Kraft steckt, daß die Menschen oft nur staunen. Was ist es also, was trägt? Jesus sagt, es sind zwei Dinge: Daß wir Gottes Wort hören und es tun. Das scheint auf die tiefere Schicht zu zielen, die nicht nur das Äußere meint, sondern die eine Ahnung von dem hat, was wirklich trägt, wenn es darauf ankommt.

Das Wort hören! Wenn wir jetzt in einer kleineren Runde wären, würde ich Sie bitten, daß jeder von Ihnen jetzt einmal aufschreibt, was das Wort ist, das er von Gott hört. Sein Wort, das er meint, von Gott zu hören. Vielleicht, wenn Sie Lust haben, machen Sie es und schreiben es zu Hause einmal auf. Manchmal ist es hilfreich, nur einen Satz aufzuschreiben, den er mir persönlich sagt als sein Wort.

Ich versuche Ihnen zu sagen, was ich als das Wort Gottes aus der Bibel heraus höre. Jeder Mensch, jeder, der hier sitzt, so wie er hier sitzt, ist Gott lieb und außerordentlich wert. Und es gibt keine Bedingung dazu, es gibt nichts, was ausgenommen wäre. Unser Text gibt uns einen weiteren Hinweis, er sagt: Das Wort hören. Das heißt: Gott legt Wert darauf, daß wir hören. Sie wissen das von Ihren Kindern, wenn Sie sagen: Jetzt hör doch endlich einmal zu! Sei doch mal da und laß uns doch mal in Kontakt kommen. Wer sagt "das Wort hören", wer darauf Wert legt, möchte in Beziehung kommen. Der möchte, daß der andere hört, daß eine Ernsthaftigkeit, eine Präsenz, auch ein Stück Gleichberechtigung da ist, denn Hören hat etwas damit zu tun, daß zwei Gleiche sich begegnen, aufmerksam und offen. Und wenn wir hören, sein Wort hören, und daß wir ihm lieb sind mit all unseren Ecken und all unseren Kanten und all unserem Verborgenen, zu dem wir oft schlecht nur stehen können, und hören, er will uns, dann können wir vielleicht schon etwas spüren von dem, was mehr trägt, als manche unserer Versuche, unserem Leben einen Sinn zu geben. Daß das etwas sein könnte, was bleibt.

Wer hört, kommt auch ins Reden. Wer so hört, beginnt zu antworten. Ich denke, das Gebet ist vielleicht die urtümlichste Form, wie wir Menschen vor Gott sind. Nirgends wird so offen geredet wie im Gebet. Im Gebet zeigen wir und können wir aussprechen in sehr geschützter Form unsere Ängste, unsere Klagen, unsere Not, das, wonach wir Sehnsucht haben. Und so beginnt dieses Hören hinüberzugehen ins Reden. Und wir bekommen eine eigene Bedeutung und auch eine Beziehung. In diesem Hin und Her von Hören, Fragen, Rufen, wieder Hören, Antworten, Bitten, Klagen, wie es immer in einem Hin und Her bleibt, da mag sich nun immer klarer zeigen, daß die leise Stimme Gottes in uns deutlicher zu hören ist. Es wird gut mit dir, es ist schon gut mit dir. Nun nimm es doch auch, und laß es hinein in dein Leben, vertrau dem und glaube dem. Laß es wirken; du bist wie ein Kunstwerk, das ich gemacht habe; vertrau dem doch, auch mit dem, woran du dich so stößt. So mag dann wohl der feste Grund in einer solchen Beziehung spürbar werden. Staune darüber, daß es Gott ist, der zu uns will und der zu uns kommt, und nicht umgekehrt.

Und so drängt das Hören hinein in das Leben, und auf einmal sind wir im Tun drin, ob wir wollen oder nicht, denn es erwartet dieses Hören, daß es eine Gestalt bekommt, daß es umgesetzt wird in unser Leben hinein. Ein Tun allerdings, das schwieriger ist als das, was wir im allgemeinen mit unseren Händen anstellen, weil es mit Hören, mit Stille und mit Geduld zusammenhängt.

Nun gibt es noch etwas, daß in unserem Text von dem Hören und dem Tun mitschwingt, was nochmal ganz anders ist. Ich glaube, es ist etwas, was jetzt erst in unserer Zeit gehört werden kann. Wir merken ja mit Erschrecken, wie eng plötzlich alle Dinge in unserer Welt miteinander verknüpft sind. Was im Regenwald geschieht, hat Auswirkungen bei uns, was bei uns geschieht, hat Auswirkungen in anderen Ländern, wo kein Wohlstand ist wie bei uns. Was heißt es denn für diese Welt, in der Unterschiede sofort wahrgenommen werden, wo Veränderungen sich sofort niederschlagen und alles miteinander verknüpft ist, was heißt es da, daß wir Gottes Wort hören und tun? Gott ist der Herr der ganzen Welt, nach unserem Zeugnis, er ist der Schöpfer auch der Natur. Und was der Welt geschieht, geschieht Gott, und was der Natur geschieht, geschieht ihm. Was ist es denn da, was trägt, was Festigkeit verleiht, wenn wir daran denken, daß die Ärmsten offenbar immer ärmer werden? Ich habe gelesen, daß 1975 das Verhältnis des Wohlstands zu den Entwicklungsländern 1:4 war; heute ist es 1:40. Kann es sein, daß wir auf Sand bauen, wenn wir glauben, daß das so weitergeht? Daß sich das halten ließe? Oder ist es so, daß dieses: Gottes Wort hören und tun ein neues Hören erfordert, eine neue Umkehr; Christenmenschen erfordert, die sich verändern lassen und die gerade dann, wenn die Dinge verändert werden, mit Gottes Liebe das sich so verändernde Leben und die darin befindlichen Menschen lieben? Kann es sein, daß es nicht nur das Geschenk Gottes ist, sondern auch die Anfrage und Aufgabe an uns, wie weit das denn nun für alle Menschen auch Gültigkeit hat?

Gott helfe uns, daß wir sein Wort hören und es tun.