Ostersonntag / 15. April 1984
Pfarrer Helmut Metzger

  

Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat. Denn er muß herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße legt. Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn alles hat er unter seine Füße getan. Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, daß er ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem.
1. Korinther 15, Verse 19 - 28

 

Liebe Gemeinde,

was ist das Besondere, das Außergewöhnliche an unserem christlichen Glauben? Für die Gottesdienstbesucher in Korinth gab es nie einen Zweifel: Faszinierend und überzeugend war für sie die Tatsache, daß Christus dem Tod von der Schippe gesprungen und daß er drei Tage nach seinem bitteren Leiden und Sterben bereits wieder lebendig gesichtet worden war. "Das ist das Fundament unseres Glaubens", sagte man sich in christlichen Kreisen. "Gott hat in Christus den Tod besiegt. Wer daran festhält, den kann nichts mehr erschüttern."

Und so glaubten sie tapfer, daß der Tod von Golgatha und der österliche Sieg über das Sterben auch ihrem Leben eine Wende geben müßte. Immer wieder sprachen sie sich gegenseitig Mut zu, jene frühen Christen: "Laßt uns auf Jesus schauen, den Anfänger und Vollender des Glaubens", sagten sie. - "Sein Sieg ist unser Sieg", lauteten die Parolen. "Wer mit Jesus in diesem Leben ernst macht, der wird einst reichlich Belohnung empfangen."

Manchmal merkten sie es gar nicht, jene Christen in der Anfangszeit der Kirche, daß nicht jeder Mitbürger bereit war, ihre Schlagworte nachzusprechen. Es gab eine ganze Reihe Zweifler in Korinth. Es gab Leute, denen fiel es außerordentlich schwer, etwas zu glauben und zu bekennen, was sie nicht mit eigenen Augen sehen konnten. Es gab Christen, die spürten zwar, daß die Auferstehungsberichte schon etwas mit ihrem Leben zu tun haben müßten - aber da gab es so viele andere Probleme, die ihnen zu schaffen machten, daß sich ihr Glaube schon bald auf ein paar Grundüberzeugungen beschränkte:

"Irgendetwas braucht halt jeder, woran er sich halten kann ...", sagten die einen. "Der Herrgott wird´s schon recht machen ...", trösteten andere. "Tue recht und scheue niemand ..!" - Das war die Standartformel für dritte.

Ja, solche Floskeln wurden damals in Korinth zum Besten gegeben. Auch unter Christen. Weil den meisten Männern und Frauen das praktische Leben jetzt in der Gegenwart wichtiger war als ein bißchen verschwommene Hoffnung für den St. Nimmerleinstag.

Ich kann die Gemeindeglieder verstehen, für die Paulus unseren heutigen Predigttext aufgeschrieben hat. Sie hofften so sehr, daß sich durch den auferstandenen Christus etwas verändern würde in ihrem Leben. Und dann blieb doch alles beim Alten: Es gab immer noch schwere, unheilbare Krankheiten. Es gab weiterhin Streit untereinander, zwischen Nachbarn und ehemaligen Freunden, sogar unter Familienangehörigen. Es gab Mißerfolge und Not - genau wie zuvor. Und was das Schlimmste war: Auch der Tod hielt unvermindert reiche Ernte. Unter Gläubigen und unter Heiden. Trotz Ostern.

Wie sollte man damit fertig werden? Wie werden wir damit fertig, liebe Gemeinde? Heute? 1990? - Auch wir erleben ja Tag für Tag Enttäuschungen, werden Zeugen, wie sich gutgemeinte Pläne zerschlagen. Haben wir nicht manchen Lieben Menschen sterben sehen müssen, ohne daß wir ihm hätten helfen können? Was sagt unser Glaube in solchen Fällen? Genügen da österliche Bekenntnisformeln, an die wir uns festklammern, um ja beim rechten Wort zu bleiben?!

Paulus rückt vorschnellen Glaubenseifer zurecht: Christen - so schreibt er - , die angesichts mannigfaltiger Aufgaben in der heutigen Zeit immer nur wiederholen können, was irgendwann einmal geschehen ist mit Jesus, die können einem leid tun. Der Blick zurück aufs leere Grab, auf ein historisches, längst vergangenes Ereignis bringt gar nichts, wenn wir darin nicht ein Signal, ein Zeichen erkennen, daß unser himmlischer Vater bis in die Gegenwart hinein stärker ist als alle Naturgesetze. Und damit kommen wir zur Hauptsache: Worauf, liebe Gemeinde, setzen wir unsere Hoffnung? Worauf vertrauen wir? Paulus hat darauf vertraut, daß Jesus lebt. Und dieses Vertrauen hat ihm Hoffnung geschenkt. Der lebendige Christus selbst wurde für Paulus zum Rettungsring, an dem er sich festhalten konnte in den Stürmen der Zeit.

Woran, liebe Gemeinde, halten wir uns fest? An einem leeren Grab? An einer Auferstehung, die vor fast 2000 Jahren geschehen ist? An dem, was uns Pfarrer und andere Ausleger jedes Jahr aufs neue vortragen? An den Ostererzählungen unserer Kindheit, die uns noch heute lieb und vertraut sind? Ich will Ihnen sagen, was für mich das Besondere, das Außergewöhnliche unseres Glaubens ist: Außergewöhnlich ist zunächst einmal ein Gott, der alle Fäden in der Hand halten könnte, ein Gott, dessen Macht keine Grenzen kennt - und der uns Menschen dennoch eigenen Entscheidungsspielraum zubilligt. Gott läßt uns Freiheit. Mir und dir. Manchmal mehr Freiheit, als uns guttut.

Außergewöhnlich ist aber noch etwas anderes: Dieser Gott wußte von Anfang an, auf was er sich mit uns Menschen eingelassen hat. Seit Adam war es klar, daß sich die Menschheit immer wieder von IHM abzusetzen versuchen würde. Und trotzdem brach Gott die Beziehungen zu diesen selbstherrlichen, sündigen Geschöpfen nie ab. Im Gegenteil: Voller Liebe streckte er ihnen weiterhin seine gnädige Hand entgegen.

Außergewöhnlich schließlich auch das dritte: Obwohl wir durch unsere Gottesferne allesamt den Tod verdient hätten, bietet uns Gott Leben an - Rettung und Heil, damit keiner verloren geht. Gott steht auf unserer Seite. Und dafür ist ihm kein Opfer zu schade. Nicht einmal sein eigener Sohn.

"Schaut auf Christus", ruft er uns heute zu. "Was ihm widerfahren ist, als ich ihn aus dem Totenreich zurückholte, das werdet ihr alle, jeder einzelne, eines Tages persönlich bestätigen können: Ich, der Herr, euer Gott, lasse euch teilhaben an meiner wunderbaren neuen Welt, die mehr ist als Wachsen und Vergehen, als Geboren-Werden und Sterben. Ich, der Herr, euer Gott, sage es. Und ich mache meine Verheißungen wahr. Immer wieder.

Liebe Gemeinde, noch lebe ich, noch leben wir alle unter der Bedrohung des Todes. Auch wenn wir manchmal so tun, als beträfe es uns vorläufig noch nicht, sind wir doch alle bereits Gezeichnete: Jeder Schlaf, jede Krankheit, jedes Seufzen, jeder Schmerz ist ein Stückchen vorweggenommener Tod. Bis zum letzten, zum endgültigen Sterben. Und dieses Sterben ist hart. Keinem einzigen wird es erspart bleiben. Aber dieses Sterben - und das ist das Besondere unseres christlichen Glaubens - dieses Sterben entläßt uns nicht in die Verlorenheit oder ins Vergessen auf Nimmer-Wiedersehen. Das Sterben, auf das wir Christen zugehen, führt uns direkt in die schützenden und bergenden Hände des Heilands. Der Sohn Gottes hat es mehr als einmal angekündigt, solange er unter seinen Jüngern lebte. Und dann kam Ostern. Die Auferstehung in Jerusalem. Dort hat Gott ernst gemacht mit seinen Verheißungen. Dort hat das Leben gesiegt. Darum ist Ostern so ein wichtiges Datum, auch wenn manchmal in unseren Gemeinden vor lauter erstarrter Tradition nur wenig vom Sieg des Lebens zu spüren ist.

Halten wir fest: Ostern ist kein Beweis. Aber Ostern zeigt uns, wo unsere Wege und Bahnen ein Ziel haben, auf das es sich hinzubewegen lohnt: Beim Herrn, dessen Gegenwart und Hilfe Christen schon heute spüren können: Durch das gemeinsame Gebet; durch das gemeinsame Hören auf sein Wort; und durch die Gemeinschaft des Sakraments im regelmäßigen Abendmahl.

Wo diese drei Dinge zusammenkommen, da ist der Auferstandene dabei. Als Erstling unter denen, die zum Leben gelangen. Da herrscht und regiert Jesus Christus, der Sohn, der Retter, der König. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. !