Trinitatisfest 1904
Pfarrer Eduard Gebhard

  

Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Matthäus 28, Verse 16 - 20

 

In dem Herrn geliebte Gemeinde!

Das Trinitatisfest führt uns in die Tiefen des göttlichen Wesens; es sagt uns, daß der Gott, den wir bestaunen, ein dreieiniger Gott ist. Da tun nun freilich viele nicht mit; andere kommen zwar auch heute zur Kirche, stehen aber doch zweifelnd beiseite. Was haben sie gegen unseren Glauben an den dreieinigen Gott einzuwenden? "Drei sind nicht eins", sagen sie; "also kann auch Gott nicht dreieinig sein." Oder sind sie gar vielleicht so töricht zu meinen, der dreieinige Gott bedeute uns drei Götter? - Das weiß die christliche Kirche auch, daß eins und drei verschieden sind; aber ebenso weiß sie, daß man tote Zahlen nicht anwenden darf auf das Wesen des lebendigen Gottes. Ist es nicht überall so, daß, wo Leben ist, der glatte Verstand nicht ausreicht, es zu ergründen? Schon in der Natur finden wir, daß viele Glieder einen Leib ausmachen, viele Zweige einen Baum, viele Strahlen eine Sonne u.s.w. Das sind Dinge, die nur in der sichtbaren Welt die Einigkeit in der Vielheit offenbaren; nur handelt es sich bei der Erkenntnis Gottes nicht um Naturkräfte, sondern um Person und Geist. Aber wenn wir im Menschengeiste drei Kräfte finden, den rechnenden Verstand, das fühlende Herz und den tatkräftigen Willen, alle drei persönlich und in einer einzigen Person verbunden, haben wir da nicht in unserer eigenen Brust ein Sinnbild des Dreieinigen? - Freilich, vorrechnen kann man´s niemand, daß es einen dreieinigen Gott geben muß. Das muß man erfahren: Wenn wir innerlich erleben, daß wir des ewigen Gottes Kind sind, daß Gottes Sohn uns erlöst hat und daß Gottes Geist uns heiligt mit seiner Kraft von oben, dann zweifeln wir nicht mehr, sondern glauben. Und gerade das Geheimnisvolle an der Dreieinigkeit wird uns zu einer Bestätigung ihrer Wahrheit. Ist nicht die Bibel gerade deshalb Gottes Wort, weil sie uns Dinge offenbart, die wir von Natur nicht wissen können? Droben im Himmel und unten auf Erden ist mancherlei, was unsere Vernunft nicht begreift; aber wenn der Herr zu uns redet, dann geht uns bei seiner Offenbarung ein Licht auf, unsere gläubige Seele erkennt auch das Unsichtbare und es wird uns das Glauben zum Wissen. - So geht es auch mit dem Glauben an den dreieinigen Gott, den wir heute wieder in Ehrfurcht bestaunen, auf dem der Glaube der Apostel und Reformatoren beruht und auf den die heiligsten Gebräuche der Christenheit sich gründen. - Auch unser Textwort ist ein Zeugnis für die Dreieinigkeit. Indem der Herr beim Scheiden von der Erde befiehlt, die Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu vollziehen, gibt er noch in der letzten Stunde seines irdischen Lebens Zeugnis von seiner und des Geistes Gottheit. In diesem Sinne betrachten wir die letzten Worte unseres Heilands. Freilich wird uns die Dreieinigkeit stets ein wunderbares Geheimnis bleiben, das wir mit dem Verstand nicht erfassen werden; unser Wissen ist Stückwerk und wird auch in der Erkenntnis Gottes Stückwerk bleiben; aber der Gläubige ergreift den dreieinigen Gott in seiner schaffenden, erlösenden und heiligenden Macht und findet in ihm die starken Wurzeln seiner Kraft. - Und wenn wir das, was uns der Heiland am Schlusse seines Erdenlebens gesagt hat, andächtig bedenken, dann erkennen wir doch anbetend etwas von dem, was in den Tiefen der Gottheit wohnt. So wird es mit Gottes Hilfe nicht ohne Segen sein, wenn in dieser Stunde uns beschäftigen:

Die Abschiedsworte des Heilandes. Sie enthalten:
I. Eine erhabene Lehre,
II. Eine heilige Stiftung,
III. Einen gewaltigen Befehl.

I. Den trauernden Weibern hatte der Engel am Auferstehungsmorgen zugerufen: "Gehet eilend hin und saget es den Jüngern, daß er auferstanden sei von den Toten, und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen." Das geht jetzt in Erfüllung. Gewiß waren außer den Elfen noch andere Jünger zugegen, wahrscheinlich die 500, von denen Paulus berichtet. Denn wenn es im Texte heißt: "Etliche aber zweifelten", so ist doch kaum glaublich, daß unter den Elfen wieder Zweifler gewesen seien, nachdem sie doch alle den auferstandenen Herrn leibhaftig gesehen. Die Andern, die ihn seit seiner Auferstehung noch nicht geschaut, mochten noch zweifeln. Nun aber erscheint Jesus, um alle Zweifel zu bannen. In schlichter Hoheit tritt er zu ihnen und spricht: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Wie groß steht doch der Herr da!

Unter einer Schar armer Fischer steht der Mann, den kurz zuvor seine Landsleute als Verbrecher ans Kreuz geschlagen hatten; aus dem Grabe erstanden, sammelt er noch ein Mal seine Anhänger um sich und spricht eben diese Worte: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Was ist das für ein Mann, der in aller Nüchternheit und Einfachheit so etwas von sich zu sagen wagt! Hat je ein Mensch sich erkühnt zu behaupten, ihm gehören Himmel und Erde? Es ist der Gottmensch, der seine Stimme erhoben. Wer alle Gewalt hat, der ist der Weltbeherrscher. Wer im Himmel Gewalt hat, der muß sie von Ewigkeit haben; und eben mit dem Himmel beginnt Jesus. Das ist bedeutungsvoll; dort also ist der Ursprung seiner Macht und der Sitz seiner Herrschaft; von dort strömt auch der Geist hernieder auf sein Reich, auf die Kirche. Aber auch auf Erden hat Christus alle Gewalt. Die Völker sollen Christen, die Sünder sollen selig werden. Die ganze Weltgeschichte soll dem Herrn und seinem Reich dienen, auch die irdische Natur soll ein Schauplatz der Erlösung sein und der Verklärung entgegenreifen. - Christi Reich, durch seine im Tode sich aufopfernde Liebe begründet, ist ein ewiges Reich. Die Reiche der stolzesten Weltbeherrscher sind doch nur ein Stück Erde, und auch die längste Regierung dauert doch nur eine kurze Spanne Zeit. Aber Jesu Herrschaft ist ohne Grenzen und ohne Ende. Ihm ist "alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden." - Und nochmals: Dieser Allmächtige sendet das um ihn versammelte Häuflein armer Männer mit einem stolzen Eroberungsbefehl in die ganze Welt, gebietet ihnen, zu seinen Jüngern zu machen alle Nationen und dieselben zu taufen wie auf den Namen Gottes, so auch auf seinen Namen. Damit stellt er sich doch offenbar selbst als gleichberechtigt neben Gott, zwischen den Vater und den Geist. Denn des Vaters Leben strömt ewig in den Sohn und von diesem aus strömt es durch den Geist in die Geschöpfe. Der Mittelpunkt aber des ganzen Offenbarungslebens Gottes ist der Sohn. Es ist natürlich, daß ein solcher Mann dann auch verlangen kann, die ganze Welt solle halten, was er befohlen habe, und die Menschen alle sollen nach seinem Wort leben; und ebenso natürlich ist, daß ein solcher, wenn er auch dem Leibe nach scheidet, doch seinem Wesen nach bei den Seinen ist bis an der Welt Ende, nicht bloß in einer von ihm ausgehenden Kraft, auch nicht bloß in geistiger Erinnerung, sondern als der, der das majestätische "Ich bin bei euch" gesprochen, und der gewaltig und mächtig genug ist, um wirklich und persönlich den Seinen gegenwärtig zu sein bis an der Welt Ende. Das ist Jesus, wie er sich selbst beim Abschied in der feierlichsten Stunde vorstellt; das ist Jesus, wie ihn seitdem die Kirche bestaunt: Gottes und Menschensohn, des ewigen Vaters ewiger Sohn, des heiligen Geistes Spender. In ihm, nur in ihm, haben wir den Vater, den ewigen Gott selber; in ihm haben wir den Heiligen Geist, das Leben, das Licht, die Kraft ewiger Seligkeit und Heiligkeit. - Das ist die ungemein hohe, praktische Bedeutung des Glaubens an die heilige Dreieinigkeit. Und diesen Glauben, gemäß der heiligen Schrift, darf die Kirche sich nicht nehmen lassen; auf diesen Glauben sind wir getauft und konfirmiert, auf den wollen wir leben und sterben. Aber auf den dreieinigen Gott leben und sterben heißt nichts anderes als: Jesum annehmen als den, in welchem der Vater und der Geist ist. Das ist die erhabene Lehre unseres Textwortes.

II. So enthält dieser Glaube an die in Christo offenbarte heilige Dreieinigkeit freilich auch die ernste Verpflichtung für die Kirche wie für den Einzelnen, in Dankbarkeit und Treue die heilige Stiftung zu bewahren, die der Herr in seinem Vermächtnis hinterläßt, wenn er befiehlt: "Machet zu Jüngern alle Völker dadurch, daß ihr sie taufet im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und dadurch, daß ihr sie lehret halten alles, was ich euch gesagt habe." - Was die Kirche betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß unser heutiges Evangelium die Grundstelle ist, auf welcher die ganze Einrichtung des kirchlichen Lebens ruht, daß es zwei Mittel also sind, wodurch die Boten Christi die Menschen zu seinen Jüngern machen sollen, nämlich 1. die Taufe und 2. der Unterricht. - Gerade in unserer Zeit haben die Kirche und alle kirchlich Gesinnten nicht bloß dem Unglauben, sondern auch aller Sektiererei und aller zum Sektenwahn führenden unnüchternen Schwärmerei gegenüber mehr als je die ernste Pflicht, an dieser heiligen Stiftung, die das Fundament aller unserer kirchlichen Ordnung ist, treu festzuhalten und sich gegen alle eigenmächtigen und willkürlichen Änderungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, ernstlich zu wehren. - Man sage nur nicht, wie es manche Sekten tun, die Kindertaufe unserer Kirche sei nichts. Wohl wissen wir, daß die Taufe des Erwachsenen vollständiger ist als die Taufe der Kinder. Wenn ein Heide oder Jude zum lebendigen Glauben an den Herrn durchgedrungen ist, sich zu seinem Heiland bekennt und damit seiner ganzen Vergangenheit absagt, so ist ja das allerdings eine völlige Wiedergeburt eines ganzen Lebens.

Ebenso wissen wir, daß die christliche Kirche kaum hoffen kann, daß die getauften Kinder auch alle in ihrem Geist und Glauben erzogen werden; denn wie oft kommt es vor, daß sowohl die Eltern als auch die Paten selbst keinen Glauben haben und damit das Taufgelübde zur Lüge machen. Trotz alledem werden die Kinder durch die Heilige Taufe Gott dargebracht und in seine Gnade aufgenommen. Der Herr, welcher die Kinder zu sich kommen ließ und sie segnete, er segnet sie noch immer in der Taufe. Er gab den Erwachsenen die Mahnung: "Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen." Es ist ganz gegen seinen Geist, daß Kinder erst groß werden müßten, um seine Gnade zu empfangen. Gewiß muß die Konfirmation als das freiwillige Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott hinzukommen, als die persönliche Bestätigung des Taufbundes, wobei ich bemerke, daß es auch ein Unrecht ist, die in der Heiligen Taufe der Kirche Jesu zugeführten Kinder hernach der kirchlichen Konfirmation zu entziehen und etwa einer Sekte zuzuführen. - Gewiß muß der christliche Unterricht als die notwendige Folge der Taufe hinzukommen; aber es bleibt dabei, daß auch die Taufe der Kinder Empfang der göttlichen Gnade ist. Wenn die Apostelgeschichte von der Taufe ganzer Familien berichtet, so sind doch dabei ganz gewiß auch Kinder mitgetauft worden. - Und es liegt doch etwas überaus Seliges darin, wenn Gott sich schon zu dem zarten Kinde herniederläßt, sodaß wir es für unser ganzes Leben wissen: er hat uns in frühester Jugend bei unserem Namen gerufen, wir sind sein. - Freilich, wissen wir, daß wir sein sind, dann ist umso schwerer die Verantwortung, die er uns auferlegt, wenn er fordert zu halten, was er uns befohlen hat. Diese Forderung geht an die Unterrichtenden, die seinen Willen kennen gelernt haben, besonders an die Erwachsenen.

An Jesu Wort werden wir also gewiesen, sonst an nichts, und zwar an das Wort, das er seinen Aposteln gegeben hat und welches wir im Neuen Testament haben, also nicht an ein Christentum, wie man´s sich nach Belieben ausdenkt, auch nicht an das, was man in unserer Zeit uns wieder so eifrig anpreist, nämlich ein Christentum, das je nach der Bildung und Kultur der Zeit seinen Inhalt wechsle, oder das gar ein anderes sei für die Gebildeten als für die Ungebildeten. - Maßstab für unser Christentum ist nur das neutestamentliche Gotteswort. Das sollen wir halten, treu und ernst danach leben, es immer besser hören und lernen, aneignen und tun, daher auch treu zur Kirche stehen, die dieses Wort verkündigt und die Ordnungen Christi bewahrt.

III. Und nun noch eins! Die vom Herrn gestifteten kirchlichen Ordnungen der Taufe und des Unterrichts haben eine weltumfassende Bedeutung. Denn indem der Herr diese Ordnungen festsetzt, sendet er seine Boten zugleich hinaus in alle Welt und befiehlt ihnen, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen und gibt seinen Boten gerade eben diese Ordnungen der Taufe und des Unterrichts mit als die Mittel, durch welche sie seinen Auftrag erfüllen sollen. So wird der Taufbefehl zum Missionsbefehl. Er ist und bleibt uns heilig; und erheben sich heute mancherlei Stimmen, die einen, indem sie im Namen der Wissenschaft uns erklären, es sei nicht nachzuweisen, daß Jesus die Mission gewollt, die andern, indem sie die Mission hassen, weil sie dem gottlosen Treiben der Christen draußen in heidnischen Ländern entgegentritt: Dennoch steht dies Wort des Herrn wie ein Fels unerschütterlich und in Kraft dieses Wortes wird wie bisher so auch fernerhin das Evangelium hinausgetragen bis an die Enden der Erde. Denn der Herr denkt nicht bloß an Einzelne, die gewonnen und dann versammelt werden sollen, sondern seine Gedanken gehen auf die Völker und Länder. Die ganze Erde soll die Stätte seines Reiches werden. Und es bleibt die heiligste Aufgabe der Kirche, der sie sich nicht entschlagen kann, ohne sich selbst aufzugeben, alle die Schäflein, die noch nicht in Jesu Stalle sind, herzuführen, daß es eine Herde und ein Hirte werde. Das ist eine riesengroße Aufgabe; auch für Tausende von großen Geistern wäre sie zu groß. Und nun wird sie gar elf armen Jüngern aufgetragen! Sie sollen anfangen, und die Kirche in den nachfolgenden Jahrhunderten soll fortfahren, bis die ganze Menschheit zu Christo bekehrt ist; da gilt es, mit immer neuem Mute an die Arbeit und in den Kampf zu gehen; das ist schwer, aber, gottlob, auch die Kraft ist da: Über den ganzen Lauf der Mission hält der Erlöser seine gewaltige Hand und spricht: "Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Wer ist es, der da spricht? Es ist Jesus Christus, in dessen Namen allein Heil ist, er, in dem wir die Herrlichkeit und Liebe des dreieinigen Gottes schauen und haben. Im festen Vertrauen auf seine Kraft und mit der herzlichen Bitte um seinen Segen, etwas zum Bau seines Reiches in dieser Gemeinde beitragen zu dürfen, das ist der Wunsch, mit welchem ich das dauernde Amt in dieser Gemeinde übernahm. Der dreieinige Gott aber gebe zum Wollen das Vollbringen nach dem Reichtum seiner Gnade!